Pictet Group
Ein Teilhabersystem, das „beständiger ist als die Ehe“
Interview
Wie gelingt es einem Finanzinstitut, das ausschliesslich in der Vermögensverwaltung für institutionelle und private Anleger tätig ist, ohne Börsengang und ohne Fusionen und Übernahmen zwei Jahrhunderte zu überleben und seinem Pure-Play-Geschäftsmodell treu zu bleiben?
Der Pictet-Gruppe ist es gelungen. Pictet, benannt nach der Gründerfamilie, hat keine externen Aktionäre, und nur wenige Personen erhalten Einblick in das Innenleben der Bank.
Älter als Goldman Sachs und Citigroup
„Ich hoffe, dass meine Nachfolger einst die Nachkommen unserer Kunden betreuen können.“
Die Credit Suisse hat 2023 Konkurs angemeldet, und nur die Übernahme durch die UBS hat weitere Turbulenzen an den globalen Finanzmärkten verhindert. Im Zuge dieser Krise hat Pictet die Credit Suisse unbemerkt als zweitgrösstes Finanzinstitut der Schweiz, gemessen am verwalteten Vermögen, abgelöst.
1805 gegründet, ist Pictet älter als die meisten globalen Finanzriesen wie Goldman Sachs und Citigroup. Während die meisten Finanzinstitute mit Fusionen, Übernahmen und der Diversifizierung in andere Geschäftsfelder (Kreditgeschäft und Wertpapieremission) beschäftigt waren, um Finanzimperien aufzubauen, ging es Pictet immer nur um eines: die Vermögensverwaltung für institutionelle und private Kunden.
Das Motto der Familie und zugleich das Grundprinzip des Unternehmens lautet: „Tue Gutes und lass reden.“
Diskretion und Fokussierung gehören zur DNA der Familie Pictet.
François Pictet ist Mitglied der neunten Generation der Familie Pictet, die im Teilhabergremium der Bank vertreten ist. Business Weekly erfährt von ihm, dass er wie jeder andere Schweizer Schüler an einer öffentlichen Schule war.
„Bei Pictet“, so hatte es einmal Ivan Pictet, ehemaliger Teilhaber der Bank, formuliert: „zeigen wir unser Geld nicht.“1
Anders als die prominenten und lautstarken Stars der Wall Street tritt François Pictet zurückhaltend auf und spricht ruhig, aber bestimmt. Auch in Bezug auf ihren Zeithorizont unterscheidet sich das Institut von anderen.
Im Gegensatz zu den meisten börsenkotierten Finanzinstituten, deren Quartalszahlen kritisch von Investoren analysiert werden, denke man bei Pictet nicht in Quartalen oder Jahren, sondern habe einen „unendlichen“ Zeithorizont, wie François Pictet gegenüber Business Weekly erklärt, denn schliesslich hätten frühere Teilhaber schon den Ersten und Zweiten Weltkrieg, den Golfkrieg und diverse Finanzkrisen durchlebt.
„Der Zeithorizont unserer Kunden ist im Grunde genommen unendlich“, sagt François Pictet. Als Hüter der Vermögen unserer Kunden ist es „unser Ziel, dass meine Nachfolger einst die Nachkommen unserer Kunden betreuen können.“
Schwerpunkt ausschliesslich auf der Vermögensverwaltung für private und institutionelle Kunden
„Wir betreiben kein Investmentbanking und vermeiden dadurch Interessenkonflikte.“
Laut François Pictet haben viele Kunden vor allem das Ziel, ihr Vermögen nicht nur zu vermehren, sondern es an die nächsten Generationen weiterzugeben. Daher suchen sie sich Institute mit derselben Vision und demselben Zeithorizont. Pictet will ein Institut sein, das sich an dieser langfristigen Perspektive seiner Kunden orientiert.
„Wir blicken auf 200 Jahre Geschichte zurück. Ein Zeithorizont von 20 Jahren ist kurzfristiges Denken“, sagt er. Diese Überzeugung ist der Grund, warum der Gruppe die Betreuung des Kundenvermögens wichtiger als das eigene finanzielle Wachstum.
Nicolas Pictet, ebenfalls ehemaliger geschäftsführender Teilhaber der Bank, sagte einmal, einen Kunden zu behalten sei wichtiger, als einen Gewinn zu machen. Die Bank ist davon überzeugt, dass sie auf lange Sicht nachhaltiger wachsen kann, wenn sie sich auf ihre Rolle als Hüterin von Kundenvermögen konzentriert statt auf den eigenen kurzfristigen finanziellen Erfolg.
„In der 219-jährigen Geschichte von Pictet haben wir eigentlich immer nur eines getan: investiert“, sagt Junjie Watkins, CEO von Pictet Wealth Management Asien (ohne Japan).
François Pictet vergleicht diese starke Fokussierung mit Eltern, die „nur ein Kind“ haben.
Im Gegensatz zu anderen Banken kann sich Pictet diese konsequente Fokussierung leisten, weil sie nicht börsenkotiert ist und deshalb Kunden- statt Aktionärsinteressen in den Vordergrund stellen kann.
Bei der Credit Suisse beispielsweise, einem Finanzriesen mit über hundertjähriger Geschichte, führte unter anderem das Streben nach kurzfristigem Wachstum und die Nichtbeachtung der damit verbundenen Risiken zum Untergang.
In die Finanzkrise war aber nicht nur die Credit Suisse verwickelt, sondern auch die UBS, die später ihre Rivalin übernommen hat. Sie erlitt Milliardenverluste und musste sogar vom Schweizer Staat gerettet werden.
Für die geschäftsführenden Teilhaber von Pictet sind dies warnende Beispiele.
Wenn eine Finanzgruppe neben dem Asset und dem Wealth Management gleichzeitig im Investmentbanking tätig ist, so François Pictet, besteht zwangsläufig ein Interessenkonflikt. Wie verträgt es sich, wenn die Bank einerseits die Vermögen der Kunden langfristig verwaltet und sie gleichzeitig Provisionen damit verdient, dass sie den Kunden Produkte verkauft und sie ermutigt, kurzfristige Anlagen zu tätigen. François Pictet ist davon überzeugt, dass dieser Interessenkonflikt den Interessen der Kunden potenziell schaden kann.
„(Bankfinanzierungen oder Kredite) wären möglicherweise ein attraktives Geschäft, wenn wir unsere Kreditaktivitäten intensivieren und aggressiver auftreten würden. Aber wäre das wirklich gut für unsere Kunden? Vertritt man wirklich immer die Interessen seiner Kunden, wenn man anfängt, aggressiv zu werden?“ Eine Diversifizierung des Geschäfts könne nicht nur den Interessen der Kunden schaden, sondern auch die Finanzstruktur des Unternehmens übermässig komplex machen, ist er überzeugt. „Wir wollen nicht mit unserer Bilanz spielen.“
Wie funktioniert das Teilhabermodell?
„Wir wollen nicht die Bank für alles und jeden sein.“
Deshalb hält die Bank am Pure-Play-Modell fest. „Es ist eine bewusste Entscheidung, nicht die Bank für alles und jeden zu sein“, erklärt François Pictet.
Der Versuchung zu widerstehen und nicht nach kurzfristigen Gewinnen zu streben, wird durch ein einzigartiges Teilhabemodell möglich gemacht. Bei Rechtsanwälten und Wirtschaftsprüfern ist dieses Modell weit verbreitet, in der Finanzbranche jedoch sehr selten.
Aktuell wird Pictet von acht geschäftsführenden Teilhabern geleitet. Von diesen acht Teilhabern sind nur zwei Nachkommen der Familie Pictet, darunter François Pictet. Die anderen sind professionelle Investmentmanager von ausserhalb der Familie.
„(Bei der Ernennung eines geschäftsführenden Teilhabers) ist nichts automatisch oder angeboren“, betont François Pictet. Die meisten seiner Verwandten aus der Familie Pictet wollen gar nicht in das Familienunternehmen einsteigen.
Um bei Pictet geschäftsführender Teilhaber zu werden, braucht man zum einen die nötigen beruflichen Qualifikationen und zum anderen die Zustimmung der bestehenden Teilhaber. Wenn ein neuer Teilhaber oder eine neue Teilhaberin ernannt wird, erhält die Person von den bestehenden Teilhabern eine Art Kredit. Häufig ist es so, dass das gesamte Finanzvermögen der Person in der Firma steckt, und sie den Kredit über mehrere Jahre aus ihrem Anteil am Unternehmenserfolg zurückbezahlt.
Im Gegensatz zu Kadermitarbeitenden der meisten anderen Unternehmen, die während ihrer Amtszeit Anteile verkaufen können, werden bei Pictet die Anteile der Teilhaber meist erst beim Eintritt in den Ruhestand oder beim Ausscheiden aus der Gesellschaft vollständig veräussert.
François Pictet zufolge sind typische Alpha-Menschen mit grossem Ego, die extrem leistungsorientiert und nicht teamfähig sind, nicht die erste Wahl als geschäftsführende Teilhaber.
In der mehr als 200-jährigen Geschichte von Pictet gab es lediglich 47 geschäftsführende Teilhaber, und deren durchschnittliche Amtszeit liegt bei über 20 Jahren. François Pictet gehört zur neunten Generation der Familie, die im Teilhabergremium der Bank vertreten ist. Bloomberg beschreibt dieses System als „ein Band, das beständiger ist als eine typische Ehe“.
Weil das Unternehmen nie an der Börse kotiert war, sind die Gesellschaftsanteile nicht jederzeit veräusserbar. Daher besteht für die Teilhaber keinerlei Anreiz, kurzfristigen Erfolgen nachzujagen, anstatt sich auf langfristige Strategien zu konzentrieren.
Während der Finanzkrise beispielsweise, als die meisten Finanzinstitute Personal abbauten, verzeichnete Pictet relativ geringe Einbussen. Die Bank stellte sogar weitere Talente ein und stockte die Zahl der Mitarbeitenden auf, im Gegensatz zu einigen ihrer Mitbewerber in der Schweiz.
„Gerade in schwierigen Zeiten wollen wir unseren Kunden zur Seite stehen“, erklärt Sunny Lin, General Manager von Pictet Asset Management Taiwan. In einer Finanzkrise brauchen Kunden bei der Verwaltung ihres Vermögens unter Umständen mehr Beratung, so Sunny Lin. Wenn Finanzinstitute Stellen abbauen, „mögen die Kosten sinken, aber für die Kunden ist das nicht gut. Wie können wir dann ihr Vertrauen zurückgewinnen?“
„Die Interessen der Teilhaber und des Unternehmens als Ganzes gehen Hand in Hand“, erläutert François Pictet. Unter dem bestehenden Modell befassen sich die Teilhaben nicht mit der Frage, wie sie die Zahlen für das nächste Quartal verbessern können. Ihr Hauptanliegen ist es vielmehr, ihren Nachfolgern in 20 Jahren eine Firma zu übergeben, die genauso gut dasteht wie heute, oder möglichst sogar besser.“
Weil sich die langfristigen Interessen der Kunden mit denen der geschäftsführenden Teilhaber decken, verfügt Pictet über einen einzigartigen strategischen Zeithorizont, der die Bank von ihren Peer-Unternehmen unterscheidet.
Langfristiges Denken hilft, Stürme zu überstehen
„Nicht so leicht skalierbar, aber weniger fehleranfällig“
In Japan etwa hat Pictet schon 1981 eine Asset-Management-Präsenz aufgebaut, aber es dauerte ganze 20 Jahre, bis die Bank dort Gewinne erzielte. Heute ist sie Japans fünftgrösster ausländischer Vermögensverwalter.
Für die meisten anderen Finanzinstitute oder börsenkotierten Unternehmen wäre es untragbar, 20 Jahre lang darauf zu warten, dass das Geschäft Früchte trägt. Das ist das Gute daran, dass Pictet nicht börsenkotiert ist und langfristig denkt, wie Junjie Watkins offen erklärt.
Während andere durch Übernahmen expandieren, wächst Pictet lieber organisch, und während andere auf Managerstars in der Chefetage setzen, zählt Pictet auf den kollektiven Sachverstand ihrer Teilhaber. Während andere Unternehmen bei Schwierigkeiten zuerst Personal entlassen, um die Kosten zu senken, reduziert Pictet nicht die Belegschaft, sondern nutzt die Gelegenheit, um weitere talentierte Kräfte einzustellen.
Wenn sich ein Unternehmen durch seine Positionierung und sein Modell von anderen abhebt, geht es auch anders mit Kunden, Talenten und Wachstum um.
Solche Entscheidungen sind natürlich mit Kosten verbunden.
Ein ehemaliger Kadermitarbeiter einer globalen Privatbank hat einmal gesagt, dass der grösste Nachteil des Unternehmens sei, dass es nur schwer skalierbar ist. Die Grössenordnung von Banken wie JPMorgan Chase, Citigroup oder UBS wird Pictet in absehbarer Zukunft also wohl nicht erreichen.
Dennoch bleiben François Pictet und die anderen Teilhaber fest davon überzeugt, dass sich nicht alles auf die Schnelle oder durch Tricks erreichen lässt und dass übereiltes Handeln zum Scheitern führen kann.
„Wenn du es eilig hast, geh langsam“, so lautet seine Philosophie.
Während viele Akteure kurzfristig denken und deshalb vielleicht Fehler machen, hat Pictet einen langfristigen Zeithorizont. „Tue Gutes und lass reden“ – das ist der Schlüssel zu Pictets heutiger Stellung als zweitgrösstes Finanzinstitut der Schweiz.
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Selbst ein 200 Jahre altes Unternehmen setzt auf KI – Die Pictet-Gruppe legte schon vor neun Jahren einen Robotikfonds auf
Auch wenn die Schweizer Pictet-Gruppe mit dem Verzicht auf eine Expansion in neue Geschäftsfelder einen konservativen Ansatz verfolgt und im Asset Management auch nicht in den immer beliebter werdenden ETF-Markt (Exchange-Traded Funds) vorgestossen ist, bedeutet dies nicht, dass das Institut mit seiner über 200-jährigen Geschichte Innovationen meidet.
Eines der heissesten Themen an den Kapitalmärkten ist aktuell der Einsatz von Robotern. Als einer der Pioniere in diesem Bereich hat die Pictet-Gruppe schon 2015 einen Themenfonds mit Schwerpunkt Robotik aufgelegt. Der Fonds hat in diesem Jahr bereits eine Rendite von über 10% erzielt, und ab Auflegung steht ein Plus von 170% zu Buche.
Ein weiteres Beispiel: Die Begriffe ESG und Klimarisiko sind heute den meisten Anlegern vertraut, doch die Pictet-Gruppe hat schon vor 18 Jahren einen Wasserfonds mit Schwerpunkt Wasserinfrastruktur und -ausrüstung lanciert. Dessen Rendite hat sich seit seiner Auflegung mehr als verdoppelt.
Darüber hinaus setzt Pictet auch aktiv auf Technologieeinsatz im eigenen Unternehmen. So wurde schon 2007 eine Iriserkennung in die Zugangskontrollsysteme integriert. Im Jahr 2023 wurden ausserdem Dienste der generativen KI in Kombination mit Funktionen von OpenAI intern eingeführt.
Ihre 200-jährige Geschichte hat die Pictet-Gruppe nicht eingeengt: Die kollektiven Entscheidungen der Teilhaber haben das Innovationstempo des Unternehmens nicht gebremst. Mit ihrem langfristigen Denken können sie nicht nur Weichen stellen, bevor sich Trends durchsetzen, sondern auch geduldig warten, bis Themen reifen und Früchte tragen. Gleichzeitig sind sie bereit, sich auf neue Konzepte und Technologien einzulassen.
Originalinterview von Victor Chen auf Chinesisch verfasst und am 13. Juni 2024 in Business Weekly veröffentlicht. Übersetzung ins Englische und dann weiter ins Deutsche durch die Pictet-Gruppe.