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Tony Beltramelli - KI revolutioniert das Design digitaler Produkte
Tony Beltramelli wuchs an der Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz auf und wusste schon als Kind, dass er später im Design-Bereich arbeiten wollte. „Mich hat schon immer fasziniert, aus einer Idee etwas Reales entstehen zu lassen. Deshalb dachte ich, dass Designer das Richtige für mich sein könnte, um meine Kreativität auszuleben.“ Allerdings war das, bevor er das Programmieren und die Informatik entdeckte. „Mir wurde auf einmal bewusst, was man mit einigen Zeilen Code alles machen kann.“
Heute ist Beltramelli Mitbegründer und CEO von Uizard, einem Start-up, das laut eigener Aussage das weltweit erste KI-basierte Design-Tool für mobile Apps, Webseiten und Benutzeroberflächen (UIs) bietet. „In den letzten zehn Jahren ist jedes Unternehmen zu einem Software-Unternehmen geworden“, so Tony Beltramelli, der damit auch gleich den wunden Punkt anspricht, für den die Gründer von Uizard eine Lösung bieten wollen. „Banken benötigen beispielsweise eine Software, um mit ihren Kunden und Kundinnen zu interagieren. Die Herausforderung liegt aber darin, dass Menschen eine Software nur dann nutzen, wenn sie benutzerfreundlich und gut designt ist. Deshalb wurde Design zu einem Engpass bei der Entwicklung guter Software.“ Mithilfe von Machine Learning können Uizard-Benutzer und -Benutzerinnen Mockups auf Basis von Input-Text, eingescannten Screenshots von Apps und Webseiten erstellen und klickbare Prototypen schaffen. Damit stellt Uizard grundlegende UI-Design-Skills Menschen zu Verfügung, die keine Design- Kenntnisse haben.
Bei Investoren und Unternehmern zählt generative KI zu den heissesten Themen des Jahres. Deshalb erstaunt es nicht, dass es auch im Design-Bereich ein KI-Unternehmen gibt. Doch Beltramelli beschäftigt sich schon seit zehn Jahren mit dem Thema Machine Learning und ist somit den meisten einen Schritt voraus. Als er erkannte, dass seine wahre Leidenschaft dem Programmieren galt, zog er nach Dänemark, um an der IT University of Copenhagen seinen Master in Informatik zu machen. Im Rahmen seines Studiums verbrachte er auch ein Semester an der ETH Zürich, wo er einen Kurs zum Thema Machine Learning belegte. „Das hat mich komplett umgehauen“, erinnert er sich. Dass Informatik Menschen bei der Entwicklung spannender Produkte unterstützen kann, davon war Beltramelli auch schon vorher überzeugt. „Aber Machine Learning hat neue Möglichkeiten eröffnet. Anstatt einen Computer zu programmieren, damit er bestimmte Dinge tut, konnte man ihm einfach Daten bereitstellen und dann entwickelte er das Programm selbst. Das fühlte sich an wie Science Fiction. Mir war sofort klar, dass ich das machen will.“
Diese Erfahrung weckte zwar sein Interesse an Machine Learning, aber die ursprüngliche Idee hinter Uizard war schon Jahre zuvor entstanden. Während seines Bachelor-Studiums arbeitete er Teilzeit als Webentwickler, doch es störte ihn, dass der Entwicklungsprozess so langsam und komplex war. „Seit den Anfängen des Internets in den 1980ern hatte sich der Prozess nicht gross weiterentwickelt. Eine Person verwandelt ihre Ideen in Pixel und eine weitere Person macht daraus Code – und das alles von Hand. Ich fand das verrückt.“ Nach seinem Master-Abschluss arbeitete Beltramelli dann Vollzeit als Data Scientist und experimentierte mit aktuellen KI-Technologien. Nach Feierabend und am Wochenende entwickelte er ein Tool mit dem Namen pix2code, das Teile des Entwicklungsprozesses automatisierte: Mithilfe von Machine Learning erstellte es funktionierenden Code anhand eines einfachen von einem Designer erstellten Screenshots. Das war der Startschuss zu einem Unterfangen, an dessen Ende Uizard stehen sollte.
Als Beltramelli 2017 mit der Entwicklung von Uizard begann, bestand die grösste Herausforderung darin, dass die Anwendung von KI im Design-Bereich grösstenteils noch Neuland war. „Es gab weder den Begriff Generative KI noch gab es OpenAI, das man hätte nutzen können“, erzählt er. „Deshalb mussten wir mit der Entwicklung der gesamten Technologie bei null anfangen. Das bedeutete intensive Recherche, F&E-Arbeit und schlussendlich die Entwicklung des Produkts an sich.“ Doch er und sein junges Team waren bereit, die vielen Stunden zu investieren und hart an ihrer Idee zu arbeiten.
Einer der grössten Vorteile für junge Unternehmen Mitte bis Ende der 2010er-Jahre lag darin, dass es – im Gegensatz zu heute – relativ einfach war, finanzielle Unterstützung zu erhalten. Im Mai 2018 sammelte Uizard in einer Pre-Seed-Runde unter der Leitung von LDV Capital mit Sitz in New York 800 000 US-Dollar ein. „Wir waren dabei, die Forschung und das Produkt zu entwickeln“, erzählt Beltramelli. „Das Geld war für neue Mitarbeitende und Cloud Computing bestimmt, denn das Trainieren von Machine-Learning-Modellen in grossem Umfang ist teuer.“ Auf die erste Finanzierungsrunde folgten zwei weitere: 2019 eine Seed-Runde mit 2,8 Millionen US-Dollar und 2021 eine Serie-A-Runde mit 15 Millionen US-Dollar. Damit konnten zunächst das Team vergrössert und das Produkt weiterentwickelt werden. Ausserdem waren Mittel für die Markteinführung, das Marketing und eine erneute Vergrösserung des Teams vorhanden.
In den letzten fünf Jahren ist das Unternehmen kontinuierlich gewachsen, doch Beltramelli und seine drei Mitbegründer Henrik Haugbølle, Ioannis Sintos und Florian van Schreven bleiben auf dem Boden und haben ein Auge auf die Warnhinweise aus dem Tech- Sektor. „Unser Team umfasst heute 50 Leute“, sagt Beltramelli. „Wir möchten das Team klein und effizient halten. Was uns die vergangenen 18 Monate im aktuellen Wirtschaftsumfeld gelehrt haben, ist, dass Unternehmen zu viele Leute eingestellt haben.“ Uizard verfolgt den Ansatz, nur dann neue Mitarbeitende einzustellen, wenn das Unternehmen „frische Ideen und Ansätze“ braucht. Schlussendlich ist es aber immer ein Abwägen von Vor- und Nachteilen. Aus heutiger Sicht wird eine der grössten Herausforderungen der Zukunft darin bestehen, das Wachstum des Unternehmens zu steuern. „Die Nachfrage nach unserem Produkt ist aktuell sehr gross, aber wir sind noch immer ein kleines Team“, erklärt er. „Die spannende Frage ist ‚Wann skalieren wir?‘ bzw. ‚Wie lange wird dieses massive Wachstum wohl anhalten?‘. Das ist ein Balanceakt.“
Man könnte meinen, das sei ein typisch europäischer Ansatz: Ehrgeiz, ja, aber nicht übertreiben. In der Tat befindet sich der Sitz von Uizard immer noch in Kopenhagen, wo Beltramelli seinen Master gemacht und das Unternehmen gegründet hat. Allerdings wurden noch andere bekannte Tech-Unternehmen in der dänischen Hauptstadt gegründet – z. B. Unity Technologies und Zendesk, um nur zwei zu nennen. Dass beide Firmen ihren Hauptsitz mittlerweile in San Francisco haben, lässt allerdings aufhorchen. Wird auch Uizard eines Tages dem Ruf des Silicon Valley folgen? „Ich habe einige Zeit in den USA verbracht, aber Kopenhagen ist noch immer die Heimat von Uizard. Zumindest vorerst“, so Beltramelli. Dennoch macht Uizard mehr als die Hälfte seines Umsatzes in den USA , und deshalb kann er sich auch gut vorstellen, dort „in naher Zukunft“ ein Vertriebsteam aufzubauen.
Es ist leicht nachvollziehbar, warum Beltramelli die Skalierung als grösste Herausforderung sieht. 2023 ist künstliche Intelligenz immer mehr ins Rampenlicht gerückt, sei es in der Presse oder im Investmentbereich, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass dieser Trend abebbt. Für Uizard bedeute das fantastischen „Rückenwind“. „Als wir 2021 zum ersten Mal an den Markt gingen, haben wir uns für den Einsatz von KI im Design- Bereich eingesetzt. Als die Leute sich dann erstmals damit beschäftigten und sich fragten, ob KI ihnen helfen könnte, hatten wir bereits den nötigen Content und das Produkt.“ So konnte sich das Unternehmen auf dem Markt etablieren und sich von Wettbewerbern abheben, die in Sachen F&E und Produkt-Testing mehrere Jahre Nachholbedarf haben.
Während Uizard davon profitiert, dass KI gerade in aller Munde ist, setzt Beltramelli auch auf die langfristigen Trends, auf die das Unternehmen aufbaut. „Letztendlich wird Design immer gebraucht“, erläutert er. „Das Design der Apps und Webseiten, die wir jeden Tag nutzen, ist uns wichtig. Wir möchten Vorreiter sein, wenn es darum geht, Unternehmen dabei zu unterstützen, bessere Produkte zu liefern und ihre Kunden optimal zu bedienen. Und wir sind überzeugt, dass die Zukunft des Designs in der KI liegt.“