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Jan Ryde ― Wie man ein Unternehmen mit Liebe führt
Es gibt viele, die gerne an ihre Kindheit im Familienunternehmen denken, doch für den heranwachsenden Jan Ryde war das Unternehmen damals die Quelle von Spannungen. „Ich wuchs in den 1960er-Jahren auf, meine Eltern hatten das Geschäft gerade von der dritten Generation übernommen“, erinnert er sich. „Nach dem Tod meines Grossvaters ging der Betrieb auf zwei Familien über, es war also turbulent. Als Kind bekam ich all die Probleme mit.“
Die Rede ist vom schwedischen Betten- und Matratzenhersteller Hästens, der 1852 von Rydes Ururgrossvater als Sattlerei gegründet wurde. Heute werden dort einige der besten (und teuersten) Betten der Welt gebaut. Inzwischen ist die Marke international bekannt, doch in den 1960er-Jahren war der Betrieb noch klein und fast ausschliesslich in Schweden tätig. Die Geschäfte liefen nicht gut. Deshalb riet der Vater dem Sohn, fortzugehen und anderswo Erfahrungen zu sammeln, anstatt ihn zum Einstieg ins Unternehmen zu drängen. „Erst im Rückblick ist mir klar geworden“, so Ryde, „dass er wohl nicht immer mehr Mäuler stopfen konnte.“
Dem väterlichen Rat folgend schlug Jan Ryde eine akademische Laufbahn an der Universität Linköping ein, wo er einige Jahre lang Industrieökonomik lehrte. Doch 1988, als er 25 Jahre alt war, kam ihm die Liebe dazwischen. Er beschloss, zurück nach Köping zu ziehen, eine Familie zu gründen und von seinen Eltern die Geschäftsleitung von Hästens zu übernehmen. Für die Firma hegte Ryde ehrgeizige Pläne. „Ich wollte es anders angehen, grösser denken und unsere Produkte einem grösseren Publikum zugänglich machen“, meint er „Ausschlaggebend dafür war wohl das, was ich selbst als Heranwachsender vermisst hatte.“
Ryde begann unverzüglich mit dem Umbau des Unternehmens, insbesondere mit der Repositionierung der Marke.
„Ich erkannte, dass ein grundlegendes Bedürfnis von Menschen in aller Welt – nämlich das Bedürfnis, wirklich gut zu schlafen – nicht befriedigt wird. Damals nicht und auch heute nicht.“ Heute hat Hästens ein Modell im Angebot, das im Einzelhandel für den unglaublich hohen Preis von USD 500 000 verkauft wird, aber es gibt auch Modelle für USD 5000.
Der langfristige Erfolg des Unternehmens ist nicht zuletzt auf die internationale Expansion in den letzten drei Jahrzehnten zurückzuführen. Hästens ist derzeit auf 50 Märkten vertreten, allen voran in den USA, gefolgt von Asien. Doch der Weg dahin ist ein Lehrstück dafür, wie wichtig Geduld ist. „Uns war es enorm wichtig, erst noch besser zu werden, bevor wir exportieren“, erinnert sich Ryde. „Daher beschränkten wir uns zunächst bewusst auf den schwedischen Markt.“ Als das Unternehmen schliesslich bereit war für den Schritt, ging sein Team mit Sorgfalt und akribischer Planung an die Aufgabe heran. „Vor dem Kontakt mit Kunden ausserhalb Schwedens musste sich jeder Vertriebsmitarbeiter sechs Monate lang hier im Betrieb mit allen Details vertraut machen“, erzählt er. „Das Produkt setzt so viel Wissen voraus; wer dieses Wissen nicht vermitteln kann, kann das Produkt nicht verkaufen.“
Auch die Förderung der Belegschaft war Ryde schon immer ein wichtiges Anliegen. „Die Menschen sind das Wichtigste in einem Betrieb“, ist er überzeugt. So können alle Beschäftigten unabhängig von ihrer Position oder Abteilung Coaching in Anspruch nehmen. „Ich denke, Coaching sollte nicht nur dem CEO bzw. dem oberen Management vorbehalten sein. Es ist eine Leistung, die jeder bei uns im Unternehmen nutzen kann“, sagt er. Auch über seinen eigenen Führungsstil denkt Ryde intensiv nach – und darüber, wie er ihn verbessern kann. „Mit zunehmender Grösse des Betriebs wurde mir klar, dass auch ich mich ändern muss“, erklärt er, „denn in einer Firma mit 20 Beschäftigten ist ein anderer Führungsstil gefragt als in einem Unternehmen mit 50 oder 100 Mitarbeitenden. Jede Entwicklungsstufe bedingt Verbesserungen.“
Doch auch unter Rydes Leitung durchlebte Hästens turbulente Zeiten, etwa als er sich aus dem Tagesgeschäft zurückzog und einen CEO von ausserhalb der Familie an Bord holte. „Da gab es die verschiedensten Probleme“, räumt er ein. Einem Unternehmen, das seit 1852 besteht, fällt es leicht, solange wir alle dieselben Werte vertreten. Doch sobald jemand die Grundprinzipien – Qualität und höchste Handwerkskunst – missachtet, beginnt das Fundament zu bröckeln.
Im Jahr 2012 stand die Firma kurz vor diesem Punkt. Ryde bezeichnet diese Zeit als „schwierige Phase“ für das Unternehmen. Hästens wurde von einem externen CEO geführt und er selbst befand sich zu diesem Zeitpunkt mitten in der Scheidung.
„Die Arbeit machte mir keinen Spass, und nach einer Weile wirkte sich das auf den Betrieb aus.“ Am Ende stand die Firma kurz vor dem Konkurs. „Das war ein Weckruf“, meint er. „Ich musste als CEO zurückkommen.“ Zu diesem Zeitpunkt sah es finanziell schlecht aus, er benötigte dringend frisches Kapital. „Für einen Familienbetrieb ist es viel schwieriger, an Kapital zu kommen“, stellt er fest. „Andererseits fühlen wir uns dem Unternehmen verpflichtet, und so ist es uns gelungen, das Ruder herumzureissen.“
Glücklicherweise steht das Unternehmen heute auf einer viel solideren Grundlage – und die Zukunft ist rosig. Die Corona-Pandemie hat zwar logistische Herausforderungen mit sich gebracht, aber auch dazu geführt, dass die Menschen viel mehr Zeit daheim verbringen und daher in ihre Möbel investieren. „Dieser positive Effekt hält an und wird sogar noch stärker“, ist Ryde überzeugt. Die Verbraucher legen immer mehr Wert auf ihre langfristige Gesundheit und erkennen (aus seiner Sicht) „langsam“, wie wichtig Schlaf für ihre Gesundheit insgesamt und für ihr Wohlbefinden ist.
Auch was die familiäre Eigentümerstruktur betrifft, stehen die Aussichten gut. Derzeit arbeiten zwei seiner vier Söhne in der Firma. „Ich selbst habe mit meinem Vater mehr als 25 Jahre lang Seite an Seite gearbeitet, wir haben uns hervorragend ergänzt“, sagt Ryde. „Zum erfolgreichen Nachfolger wird man nicht über Nacht. Im Idealfall werden auch meine Söhne in diese Rolle hineinwachsen.“ Zugleich betont er, dass er keine konkreten Pläne für sie schmiedet und sie ihre „Entscheidung vollkommen frei“ treffen müssen. Ryde hat jeden seiner Söhne „ganz persönlich eingeladen“, in das Unternehmen einzusteigen, doch er übt keinen Druck auf sie aus, diese Einladung anzunehmen. An Rückzug denkt er jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. „Es gibt noch so viele Sachen, die ich machen möchte“, sagt er.
Sein Optimismus ist nicht nur aussergewöhnlich ausgeprägt, sondern auch ansteckend. Er redet von der „aufregendsten Phase im Leben“. Dieser Optimismus und all seine Erfahrungen – die guten wie die schlechten – kommen in seinem Buch (When Business Is Love: The Spirit of Hästens – At Work, at Play, and Everywhere in Your Life) zum Ausdruck.
Dem Titel lässt sich bereits entnehmen, dass die darin abgehandelten Themen weit über die Grenzen des Geschäfts hinausgehen. Ryde ist der festen Überzeugung, dass ein familiengeführtes Unternehmen wie Hästens das Leben vieler Menschen verbessern kann. Sein Ziel ist es, „Menschen aus dem Hamsterrad zu befreien, wo sie mit schwierigen Aufgaben konfrontiert sind (wie meine Eltern, als sie das Unternehmen leiteten), und ihnen stattdessen Leichtigkeit, Liebe, Frieden und mehr Wohlstand zu bieten – was natürlich auch zu glücklicheren Angestellten und Kunden führt.“