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Moove - Globale Expansion und Rentabilität im Visier der Moove-Gründer
Schon beim ersten Aufeinandertreffen in London war klar, dass Ladi Delano und Jide Odunsi enge Freunde werden würden. Beide waren zum Studieren in der Stadt, Odunsi an der London School of Economics und Delano an der SOAS . Was sie sofort verband, war unter anderem die Tatsache, dass sie beide aus Einwandererfamilien stammten. Geboren und aufgewachsen in Nigeria, flohen ihre Eltern nach Grossbritannien, wo sie später eine Familie gründeten. „In solchen Familien ist das Verhältnis der Eltern zum Herkunftsland häufig von Hassliebe geprägt“, erklärt Delano. Der unerschütterlichen Liebe zur Heimat stehen all die negativen Aspekte gegenüber, die sie dazu getrieben haben, das Land zu verlassen. „Als Kinder waren Jide und ich fasziniert davon, dass ein so sehr geliebter Ort unseren Eltern nicht das geben konnte, was sie wollten, und sie deswegen weggehen mussten“, so Delano weiter.
Diese Faszination liess sie bis ins Erwachsenenalter nicht los und war sogar einer der Hauptgründe dafür, sich – nach einem Master - und einem MBA-Abschluss sowie einigen Jobs in der Finanzwirtschaft und im Consulting – als Geschäftspartner zusammenzutun. „Wir wollten einen Beitrag zur Lösung von Problemen leisten, mit denen unsere Eltern in Nigeria zu kämpfen hatten, und so erreichen, dass weniger Menschen ihr Glück ausserhalb der Heimat suchen müssen“, erzählt uns Delano in seinem Büro in Dubai, wo die Firma der beiden heute ihren Sitz hat.
Bis dato haben Delano und Odunsi gemeinsam vier Unternehmen gegründet, die alle darauf abzielen, gesellschaftliche Probleme mit unternehmerischen Mitteln anzugehen. Prägend für die Arbeit des Gründerduos waren die Thesen von Michael Porter von der Harvard Business School. In seinem 2011 mit Mark Kramer als Co-Autor veröffentlichten Paper „Creating Shared Value“ zeigt er auf, wie Wertschöpfung auf wirtschaftlicher und gleichzeitig sozialer Ebene erreicht werden kann. „Unser gemeinsamer Anspruch war es damals, unternehmerische Lösungen für echte gesellschaftliche Probleme zu entwickeln“, erinnert sich Delano.
Diesem Anspruch folgend, gründeten sie die Apothekenkette Express Pharmacy, die insbesondere einkommensschwache Kunden in Lagos bedient und inzwischen zum fünftgrössten Anbieter der Stadt avanciert ist. Nach Einschätzung von Delano und Odunsi gab es zwei wesentliche Probleme: Zum einen wurden in vielen Apotheken gefälschte oder abgelaufene Arzneimittel verkauft; zum anderen waren drastische Preisschwankungen bei Medikamenten an der Tagesordnung. Daher verpflichtete sich die Kette von Anfang an dazu, „der günstigste Anbieter am Markt zu sein und stabile Preise und die Echtheit aller Produkte zu garantieren“, so Delano.
Doch ihr bislang ehrgeizigstes Projekt gingen die beiden 2020 an, als sie das Mobilitäts-Fintech Moove gründeten. Auch hier bildete ein gesellschaftliches Problem den Ausgangspunkt – in diesem Fall die Kombination aus Arbeitslosigkeit, finanzieller Ausgrenzung und fehlender wirtschaftlicher Eigenständigkeit. Moove mit Sitz in Dubai bietet sogenannten „Mobility Entrepreneurs“ (Mobilitätsunternehmer, in der Praxis meist Uber-Fahrer) Finanzierungen für ein eigenes Auto, das sie dann mit ihrer Arbeit abbezahlen. „Unsere Überlegung war, dass ein Fahrzeug in Afrika kein Luxusgut ist, sondern dazu dient, den Lebensunterhalt zu bestreiten“, so Delano. „Der Zugang zu einem Auto ist Grundvoraussetzung für viele, ein eigenes Geschäft aufzubauen.“
Zugleich wollten die beiden mit Moove noch andere Probleme in Angriff nehmen. So rangiert Nigeria etwa in der weltweiten Statistik zu den Verkehrstoten ganz weit oben. Das liegt auch daran, dass auf fertig montierte Fahrzeuge höhere Einfuhrzölle erhoben werden als auf Gebrauchtwagen. Aus diesem Grund ist es gängige Praxis Unfallfahrzeuge und Autos, die Sicherheits- oder Abgasprüfungen nicht bestehen, nach Nigeria zu verschiffen, notdürftig zu reparieren und billig weiterzuverkaufen. „Das sind Todesfallen“, meint Delano. „Für uns war also klar, dass wir durch Finanzierungsangebote in diesem Bereich nicht nur erreichen können, dass Sicherheitsvorschriften und Abgasnormen eingehalten werden, sondern auch, dass Menschen so die Möglichkeit erhalten, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.“
Die meisten Banken und Kreditgeber scheuen vor solchen Finanzierungen zurück, ist ihnen doch schlicht das Risiko zu hoch, dass die Fahrer nicht bereit sind, ihre Schulden zurückzuzahlen. Dieses Problem umgeht Moove mit einem umsatzbasierten Finanzierungsmodell. Zentrales Element ist hierbei eine Vereinbarung mit den Kooperationspartnern, darunter auch Uber, die Moove Einblick in die Performance jedes Fahrzeugs (z. B. Zahl der Fahrten und Umsatz) gewährt. Zudem ist vertraglich festgelegt, dass Moove zuerst bezahlt wird. „Bei jeder Fahrt in einem Moove-Auto, die via Uber bestellt und bezahlt wird, geht die an Uber gezahlte Summe zunächst an uns. Wir ziehen den Betrag ab, den der Fahrer uns schuldet, und zahlen ihm dann den Rest aus“, erklärt Delano. „Bei diesem Wasserfall-Prinzip stehen wir also ganz oben.“ Damit wird de facto das Risiko der fehlenden Zahlungsbereitschaft ausgeschaltet, es geht also nur noch um die Zahlungsfähigkeit.
Mit diesem Modell hebt sich Moove von der Konkurrenz ab. „Banken stehen solchen Kunden ohnehin schon skeptisch gegenüber. Wenn dazu noch Zweifel an der Bereitschaft zur Rückzahlung von Schulden bestehen, wächst die Skepsis weiter“, so Delano. „Es wird davon ausgegangen, dass man sein Geld nie zurückbekommt.“ Moove beweist mit seinem Modell das Gegenteil. „Ein niedriges Einkommen allein sagt noch lange nichts über die Kreditwürdigkeit aus“, ergänzt Delano. „Wenn wir das Risiko der fehlenden Zahlungsbereitschaft ausschalten und die Zahlungsfähigkeit in den Vordergrund rücken, lässt sich ein ganz neuer Zielmarkt von Kreditnehmern mit hoher bzw. guter Bonität erschliessen.“
Drei Jahre nach der Gründung verzeichnet Moove heute ein rapides Wachstum. Das Unternehmen hat seine Präsenz auf dem afrikanischen Kontinent ausgebaut, ist inzwischen in vier indischen Städten vertreten und hat unlängst auch den Vorstoss in die Vereinigten Arabischen Emirate, das Vereinigte Königreich und zuletzt auch Thailand gewagt. Im August 2023 erhielt Moove eine Eigen- und Fremdkapitalspritze in Höhe von 76 Millionen US-Dollar von einer Investorengruppe, die von Mubadala, dem Staatsfonds von Abu Dhabi, angeführt wird und an der auch der Asset-Management-Riese Blackrock beteiligt ist. In der Finanzierungsrunde wurde das Unternehmen mit 550 Millionen US-Dollar bewertet. Delano zufolge standen bei dieser Runde zwei Ziele im Vordergrund: im ersten Halbjahr 2024 erstmals schwarze Zahlen zu schreiben und weiter zu expandieren.
Was die Expansionspläne anbelangt, erklärt Ladi Delano, dass das Unternehmen in den nächsten beiden Jahren in mehreren Regionen und Märkten gleichzeitig wachsen soll. Nach dem Markteintritt in Thailand hat nun die Expansion in Südostasien Priorität; auch Indien gilt als wichtiger Wachstumsmarkt. Ambitionen gibt es zudem für Europa und den Nahen Osten, wo das Unternehmen derzeit nur in je einer Stadt vertreten ist. „Als letzten Schritt möchten wir nach Latein- und Nordamerika vorstossen“, erklärt Delano. Bei all diesen ehrgeizigen Plänen stellt sich die Frage, ob das Geschäftsmodell von Moove nur in Schwellenländern funktioniert oder auch darüber hinaus erfolgreich sein kann. „In der entwickelten Welt sind Mobilitätsunternehmer oft Einwanderer“, so Delano. „Was den Zugang zum Finanzsystem bzw. zu Krediten betrifft, sind das den Daten zufolge also sehr ähnliche Kunden, nur eben in einem anderen Marktumfeld.“
In Bezug auf das Ziel, schwarze Zahlen zu schreiben, hält sich Ladi Delano verständlicherweise eher bedeckt. Die beiden Unternehmer hoffen jedoch, dass eine Verschiebung Richtung Finanzdienstleistungen hier eine deutliche Verbesserung bringen wird. Seit Anfang des Jahres gibt es in der Moove-App zum Beispiel eine digitale Geldbörse. Diese Funktion kann in manchen Märkten bereits genutzt werden und wird derzeit weltweit eingeführt. „Wir bieten jetzt in Kooperation mit herkömmlichen Banken über diese Geldbörse Bankdienstleistungen an – Debit- und Kreditkarten, Mikrokredite, Überziehungskredite sowie Gehaltsvorschusszahlungen“, erläutert Delano. „Derzeit arbeiten wir daran, dieses Angebot an Finanzdienstleistungen zu einem starken Umsatzträger für das Unternehmen zu machen. Für 2024 rechnen wir in diesem Segment mit deutlichen Umsatzsteigerungen.“
Doch noch muss das Unternehmen einige Hürden nehmen. Die Finanzierungsrunde von Moove zu Beginn des Jahres gilt als einer der wenigen Erfolge im ansonsten schwierigen Venture-Capital-Markt, dem Inflation, hohe Zinsen, der neu entfachte Nahostkonflikt und der anhaltende Krieg in der Ukraine zu schaffen machen. „Das aktuelle Umfeld ist von vielen Risiken und hoher Unsicherheit geprägt“, so Delano. „Für uns hat oberste Priorität, ein krisensicheres Unternehmen aufzubauen, das auch dem Test der Zeit standhält. Und Rentabilität ist eben eine Grundvoraussetzung, um unser Unternehmen sicher durch stürmische Gewässer zu steuern. Unsere Aufgabe ist es, den Kurs zu halten und Moove in den nächsten beiden Jahren in ruhiges Fahrwasser zu bringen.“