Die Kunst der Einfachheit
Wer für einen Businessplan den perfekten Ort zum Bau eines Luxushotels sucht, käme wohl kaum auf den Standort des FORESTIS in den Dolomiten. Das Hotel liegt allein in einem steilen Bergwald auf 1800 Meter über Meer, hoch über dem Tal. Die Aussicht ist spektakulär, und ringsum liegt unberührte Natur. Dörfer oder Städte sucht man in der Nähe vergebens. Die Zufahrt erfolgt über eine kurvenreiche Bergstrasse, und wer einmal angekommen ist, hat wenig zu tun, ausser da zu sein.
Genau so will es Stefan Hinteregger, der die Liegenschaft in ihrer jetzigen Form zwischen 2016 und 2020 erstellt hat. Das Hotel ist ein Luxus-Naturrefugium, das die „Kunst der Einfachheit“ propagiert. Jedes Element, von den Baustoffen bis hin zur Einrichtung – und der Nähe zur Natur – ist Teil des Plans, ein Hotel zu schaffen, das eine Antithese zu vielen heutigen Luxushotels darstellt.
„Ich schlafe mit offenen Vorhängen, und viele unserer Gäste ebenso“, sagt Stefan. Damit bringt er die Philosophie des Hotels, das er konzipiert hat, auf den Punkt: Während andernorts Hotelketten darum konkurrieren, die dunkelsten Blackout-Vorhänge zu haben, werden hier die Gäste ermutigt, sich der Natur zu öffnen.
Die Verbundenheit mit der Natur zeigt sich überall: Das Hotel erzeugt seinen eigenen Strom, das gesamte Material stammt aus den Wäldern und Bergen der Umgebung, und die Gestaltung ist bewusst schlicht: nicht nur frei von Alpenkitsch, sondern auch ohne jegliche Kunst oder Dekoration (was mit Materialaufwand und Flugverkehr verbunden wäre). Die Küche des Restaurants setzt auf Zutaten aus den umliegenden Wäldern.
Dieser paradox wirkende, fast schon luxusfeindlich, ja spartanisch anmutende Luxus entspricht der Philosophie der Hintereggers. Stefan und seine Frau Teresa Hinteregger übernahmen das Gelände von Stefans Vater Alois, der hoch in den Südtiroler Bergen ein verlassenes Sanatorium entdeckt hatte, aus dem er 2010 ein kleines Hotel machte. Stefan und Teresa übernahmen das Haus 2016 und hatten Ausbaupläne, doch statt einen Zielmarkt und damit verbundene Anforderungen zu bestimmen, taten sie das Gegenteil. „Wir sind beide viel auf Reisen und haben immer wieder überlegt, was uns am FORESTIS am besten gefallen würde. Bei allen Entscheidungen hatten Teresa und ich nur uns selbst im Sinn, nicht die Gäste. Je mehr man bei der Konzeptentwicklung an die Gäste denkt, desto weniger authentisch wird es. Am Ende fällt es den Gästen auf, und somit bringt es nichts.“
Diese unkonventionelle Philosophie verbanden die Hintereggers mit einer fundierten Nachhaltigkeitsstrategie. Sie mussten das Gebäude erweitern, und um die Grundfläche nicht zu vergrössern, planten sie drei Türme, nicht höher als die Baumwipfel der Umgebung. Dann stellten sie das Baugesuch und bauten. Alle verwendeten Hölzer stammten aus der Region, der Stein war heimischer Dolomit – der auch mit einem lokalen Verfahren bearbeitet wurde, damit er vielfältig einsetzbar war – und alle Stoffe wurden im nahen Trentino gewebt. Möglichst viel von dem Stein, Holz und Glas des ursprünglichen Gebäudes wurde bei dem vierjährigen Umbau wiederverwendet.
Stefan Hinteregger ist von dem Projekt felsenfest überzeugt: Auf die Frage, ob er rückblickend etwas anders machen würde, ist die Antwort klar: Nein, sie würden alles wieder genauso machen. „Eine der grössten Herausforderungen für uns war, dass wir mitten in der Pandemie eröffnet haben. Wir und unsere Mitarbeitenden mussten fast zwei Jahre lang mit Masken arbeiten. Das war wirklich mühsam. Aber in dieser Zeit haben wir gelernt, mit den Augen zu lächeln. Und unsere Gäste waren wunderbar.“
Das Hotel nutzt ein vollständig CO₂-neutrales, auf nachwachsender Biomasse basierendes Energiesystem mit zertifizierten Pellets für die Heizung, und der Strom kommt teils aus der eigenen Photovoltaikanlage und teils von einem zertifizierten Ökostromanbieter. Seinen gesamten Wasserverbrauch deckt das Hotel aus einer eigenen Bergquelle.
Ob sie jemals ausgerechnet haben, was es kostet, dass das Projekt „möglichst nachhaltig“ ist, wie Stefan es ausdrückt? „Diese Frage stellen wir uns nicht, denn Nachhaltigkeit zu ignorieren ist keine Option“, sagt er.
Wegen der Pandemie ist es bekanntlich so schwer wie noch nie, in der Hotellerie Arbeitskräfte zu finden und zu halten, weil viele ihren Job aufgegeben haben und nicht zurückgekommen sind. Eine zusätzliche Herausforderung ist im FORESTIS die abgelegene Lage. Daher mussten die Eigentümer einiges investieren, um ihr Resort für das benötigte Personal attraktiv zu machen. So kauften sie ein bestehendes Gebäude in der Nähe des Hotels und bauten es im gleichen Stil um. Es wurde 2023 eröffnet, mit 28 Wohnungen, Hallenbad, Dachterrasse und einem Fitnessraum für die Mitarbeitenden. Von den Wohnungen aus hat man denselben Blick wie die Hotelgäste, über den Wald hinweg auf die dahinter liegenden Gipfel. Ausserdem entstanden neben dem Hauptgebäude des Hotels 38 weitere Personalwohnungen mit derselben Aussicht und mit Zugang zum Hallenbad und den sonstigen Einrichtungen des anderen Personalgebäudes. So hohe Investitionen zahlen sich aus, so die Hintereggers, und führen zu dem Idealfall, dass viele neue Mitarbeitende durch Mundpropaganda hinzukommen.
Die kompromisslose Vision der Hintereggers hat sich gelohnt: Das Hotel wurde mehrfach ausgezeichnet und zählt zu den Hotels mit den höchsten Zimmerpreisen der gesamten Dolomitenregion. Und das ohne Golf oder Tennis, ohne glamouröses Feriendorf, ohne familienfreundliches Ambiente – Kinder sind nicht erlaubt – und ohne spektakuläre Kunst, die Gäste anlockt.
Das FORESTIS hat heute 120 Mitarbeitende und verfügt seit 2024 über eine neue private Villa tief im Wald oberhalb des Hauptgebäudes. All das entstand aus Überzeugung, nicht aufgrund eines Businessplans. Dabei weiss in der Branche jeder, wie schwer es ist, mit einem neuen Luxushotel Erfolg zu haben, zumal mit so hohen Nachhaltigkeitsstandards.
Das Erfolgsgeheimnis von Stefan und Teresa? „Heute suchen die Menschen keine Zerstreuung mehr, unsere Gäste kommen ja meist aus der Stadt“, erklärt Stefan. „Sie wollen nicht unterhalten werden, sondern im Gegenteil: Sie haben ein starkes Bedürfnis nach Rückzug und Entspannung. Wir wollen hier ein tieferes Verständnis von Stille vermitteln. Dazu gehört auch, im Rhythmus der Natur zu leben.“ Als Beispiel führt Stefan an, dass viele Gäste dem Beispiel der Eigentümer folgen und nachts die Vorhänge offen lassen: „Mit der Natur aufzustehen und zu Bett zu gehen ist simpel, gleichwohl gehört es zu den zentralen Aspekten einer nachhaltigen Erholung. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen noch nie so sehr Abstand vom Alltag gesucht und gebraucht haben wie heute.“
Wichtigste Meilensteine
Alois Hinteregger, Stefans Vater, eröffnet ein kleines Hotel in einem verlassenen Sanatorium hoch in den Dolomiten.
Stefan übernimmt das Haus mit seiner Frau Teresa und gemeinsam planen sie den Ausbau und die Erweiterung der Liegenschaft. Dabei gehen sie eher unkonventionell vor, denn sie stellen nicht die Gäste in den Mittelpunkt, sondern die eigenen Bedürfnisse und Vorlieben.
Stefan und Teresa eröffnen ihr neues Luxus-Naturrefugium FORESTIS, das „die Kunst der Einfachheit“ propagiert, mit schlichtem Interieur und einem nachhaltigen Konzept.
Die neue FORESTIS Villa, tief im Wald unweit des Hotels, wird als Ferienhaus angeboten.