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Erneuerbares Erdgas: Aus Abfall wird CO2-arme Energie
Brennbare Gase aus verrottenden organischen Stoffen wie Tierdung,
Klärschlamm und Speiseresten sind eine reichhaltige Quelle erneuerbarer Energie, die sich die Menschen seit Jahrhunderten zunutze machen. Schon 900 v. Chr. nutzten die Assyrer Biogas zur Beheizung ihrer Bäder.
Diese uralte Form eines CO2-armen Brennstoffs hat sich zu einer zukunftsfähigen Lösung entwickelt, die die globale Erwärmung wirksam bremsen kann. Die als erneuerbares Erdgas (Renewable Natural Gas, RNG) bezeichnete Innovation kann dazu beitragen, die weltweiten Treibhausgasemissionen – nicht nur Kohlendioxid, sondern auch das noch klimaschädlichere Methan – zu reduzieren, und bringt verschiedene ökologische und finanzielle Vorteile mit sich.
Die methanreduzierende RNG-Technologie fristete jahrzehntelang ein Schattendasein, erlebt nun aber eine Renaissance. Auf dem COP-Klimagipfel, der diesen Monat in Aserbaidschan stattfindet, wird RNG zum ersten Mal denselben Stellenwert einnehmen wie die bekannteren Formen erneuerbarer Energie wie Wind-, Solar- und Wasserkraft.
Nach dem Vorbild eines Kuhmagens
Die Methode der Biogaserzeugung ist seit Jahrhunderten gleich. Dabei handelt es sich um eine anaerobe Vergärung, ein Prozess, bei dem Bakterien organisches Material ohne Sauerstoff abbauen und dabei Biogas freisetzen – ähnlich wie Kühe Gras verdauen.
Biogas besteht hauptsächlich aus Methan und Kohlendioxid und liefert Wärme, Strom und Kraftstoff. Doch erst wenn das Kohlendioxid entzogen ist, wird daraus ein echter alternativer Kraftstoff. Dieses Biomethan oder RNG ist von Erdgas nicht zu unterscheiden und kann daher in jedem Erdgasnetz oder gasbetriebenen Fahrzeug verwendet werden.
Biogas und RNG – von den Vereinten Nationen als „Win-Win-Win-Win-Win-Technologie“ bezeichnet1 – haben das Potenzial, viele Ziele auf einmal zu erreichen:
Erzeugung erneuerbarer Energie: Biogas hat das Potenzial, bis zu 14.000 Terawattstunden Energie zu erzeugen. Das reicht aus, um etwa 6–9% des weltweiten Primärenergieverbrauchs zu decken bzw. fast ein Drittel des weltweiten Kohleverbrauchs zu ersetzen. Wenn es als Stromquelle genutzt wird, hat es das Potenzial, 16–22% des weltweiten Stromverbrauchs zu decken. Eine kürzlich durchgeführte Studie hat ergeben, dass New York City, die grösste Stadt der USA, bis zu 27% des von ihr eingekauften fossilen Erdgases durch RNG ersetzen könnte, was mehr als genug wäre, um den gesamten städtischen Fuhrpark der schweren Nutzfahrzeuge zu betreiben.2
Abfallwirtschaft und Reduzierung der Methanemissionen: Die RNG-Technologie bindet Methan, ein Treibhausgas, das 28-mal mehr Wärme speichert als CO2 und das sonst in die Atmosphäre entweichen würde. Es kann zur Dekarbonisierung von Branchen beitragen, deren Emissionen nur schwer zu eliminieren sind, wie etwa in der Landwirtschaft oder im Schwerlastverkehr. In RNG-Anlagen werden auch Lebensmittel-, Landwirtschafts- und Deponieabfälle verarbeitet, was zu einer effizienteren Abfallwirtschaft beiträgt.
Nährstoffrückgewinnung und ähnliche Aspekte: Der Rückstand der anaeroben Vergärung – ein nährstoffreicher Schlamm aus abgestorbenen Mikroorganismen, der sogenannte Gärrückstand – ist ein wertvoller Dünger, der die Bodengesundheit verbessern kann. RNG trägt auch zur Bekämpfung der Umweltverschmutzung und zur Verbesserung der Luft- und Wasserqualität bei.3
Finanzielle und wirtschaftliche Vorteile: RNG ist eine langfristige Umsatzquelle für Abfallwirtschaftsunternehmen, weil Methan und andere Abfälle monetarisiert und in einen wertvollen Rohstoff umgewandelt werden. Das verbessert nicht nur ihre Finanzlage, sondern steht auch im Einklang mit nachhaltigen Geschäftspraktiken.
In grossem Massstab
Trotz all der Vorteile hat es RNG schwer, sich durchzusetzen. 97 Prozent
des Potenzials von RNG für die Energieerzeugung und die Verringerung der Treibhausgasemissionen bleiben ungenutzt; RNG macht gerade mal 0,3% der gesamten Primärenergie aus.4
Die grösste Hürde sind die hohen Anfangskapitalkosten. Die Einrichtung einer RNG-Anlage kostet zwischen 1 und 5 Mio. US-Dollar pro Megawatt Kapazität.5
Die Errichtungskosten sind jedoch mit denen für Solar- und Windenergie vergleichbar, und durch Grössenvorteile wird die Technologie allmählich bezahlbarer. Die IEA geht davon aus, dass die durchschnittlichen Kosten für die Erzeugung von Biomethan im Jahr 2040 weltweit um 25% niedriger sein werden als heute.6
Bei Technologie und Infrastruktur besteht noch Raum für Verbesserungen, dadurch kann die breitere Akzeptanz gefördert werden. Fortschrittlichere und effizientere Vergärungstechnologien werden nicht nur die Betriebskosten senken, sondern auch dazu beitragen, den Austritt von Methan zu minimieren. Eine besser strukturierte, grosstechnische Versorgungskette – von der Sammlung des organischen Materials bis zur Lieferung von RNG – dürfte die Wettbewerbsfähigkeit von erneuerbarem Erdgas erhöhen.
Dass es momentan noch keine speziellen politischen Strategien zur Förderung von RNG gibt, ist ebenfalls ein Hemmnis. Aber auch das ändert sich. Im Mai hat die EU ihre erste Verordnung zur Verringerung der Methanemissionen im Energiesektor verabschiedet.7 Um diese Dynamik zu nutzen, werden die Klimachefs auf dem Gipfel in Baku im November wahrscheinlich quantifizierte nationale Ziele zur Reduzierung von Methan im Abfallwirtschafts- und Lebensmittelsektor festlegen.
Die wachsende Nachfrage dürfte dazu beitragen, die Produktion in den kommenden Jahren zu steigern. Die IEA geht davon aus, dass die weltweite Nachfrage zwischen 2018 und 2040 um das 80-Fache steigen wird (siehe Abbildung).
Das langfristige Potenzial von RNG darf nicht aus den Augen gelassen werden. Eine grössere Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit
– unterstützt durch politische Leitinitiativen, die auf der COP29 vorgestellt werden dürften – wird sicherlich dazu beitragen, den Blick darauf zu lenken, dass der Abfall von heute ein entscheidender Bestandteil der Energiesysteme von morgen sein wird.
2 https://static1.squarespace.com/static/53a09c47e4b050b5ad5bf4f5/t/647e49164a096110ae94a8ac/1685997851943/2023+Gotham-Gas-Goes-Green.pdfopens in a new tab
3 US EPA
4 https://www.iea.org/reports/outlook-for-biogas-and-biomethane-prospects-for-organic-growth/an-introduction-to-biogas-and-biomethane
5 https://www.epa.gov/sites/default/files/2020-07/documents/lmop_rng_document.pdf
6 Ca. 14 USD/MMBtu (Million British Thermal Units). Quelle: IEA
7 https://energy.ec.europa.eu/news/new-eu-methane-regulation-reduce-harmful-emissions-fossil-fuels-europe-and-abroad-2024-05-27_en