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Kompetitives Gaming eSports auf dem Weg zum Volkssport
eSports – kompetitives Videogaming, das die Zuschauer verfolgen können – ist zu einem globalen Phänomen mit einer schnell wachsenden Anhängerschaft geworden. Turniere füllen mittlerweile Stadien und ziehen Millionen von Online-Zuschauern über Plattformen wie Twitch und YouTube an. Top-Player können Millionen von US-Dollar durch Preisgelder und Sponsoring verdienen. Marken von Luis Vuitton über Gucci bis hin zu Red Bull haben bereits die Gunst der Stunde genutzt, und auch mit der Musikindustrie entstehen bereits Synergien. Das immersive Digitalkonzert des Rappers Travis Scott für das Fortnite-Game zum Beispiel wurde von über 27 Millionen Zuschauern verfolgt und der neunminütige Gig brachte ihm angeblich 20 Millionen US-Dollar ein, einschliesslich Verkauf von Merchandiseartikeln.
Ein grosser Impulsgeber für den Anstieg von eSports ist ein allgemein höherwertiges Gaming-Benutzererlebnis. Die zunehmende Verbreitung von Mobilgeräten und 5G ermöglicht die Datenverarbeitung in der Cloud statt auf Geräten, sodass Gamer sogenannte „Triple-A“-Games spielen können, also solche, die mit grossen Budgets und hoher Qualität produziert werden, erklärt Dave Martin, Head of Skills bei der British Esports Federation. In Indien zum Beispiel spielen laut Martin 55 Millionen Menschen täglich PubG Mobile, ein Battle-Royale-Game, bei dem die Spieler auf einer abgelegenen Insel so lange kämpfen, bis nur noch einer am Leben ist.
Demografie ist ein weiterer Impulsgeber, denn die junge Generation kann mit traditionellem Sport nicht mehr viel anfangen, so Felix LaHaye, Gründer des Marketingunternehmens United Esports aus Los Angeles. „Warum sollte ein Teenager heute noch ins Stadion gehen, um zuzusehen, wie der Baseballschläger geschwungen wird, wo man sich so fantastische Spiele wie League of Legends online anschauen kann? Das Produkt ist in vielerlei Hinsicht besser“, sagt er.
Die Daten geben ihm Recht. Einer US-Umfrage zufolge verfolgen nur 27% der Befragten der Generation Z wöchentlich traditionelle Live-Sportereignisse, während es bei den Millennials 48% sind.1
Ein erfolgreiches Geschäftsmodell?
Dass leidenschaftliche, junge Menschen Zielgruppe von Gaming und eSports sind, hat Marken und Werbeunternehmen hellhörig gemacht.
„Für Leute unter 25 Jahren spielt die Gaming-Kultur eine ähnliche Rolle in der Popkultur wie MTV für unsere Generation“, sagt LaHaye und verweist auf den legendären TV-Musikkanal aus den 1980ern. „Wenn sie nach Hause kommen, schalten viele als erstes Twitch oder YouTube Gaming ein. Es gibt Musik, Spielshows, Promis, Persönlichkeiten. eSports wächst im Windschatten dieser Gaming-Kultur.
Die eSports-Umsätze fliessen reichlich, von Sponsoring und Medienrechten bis hin zu Lizenzen, Tickets und Merchandise-Verkauf. In diesem Jahr dürften sie auf an die 1,8 Mrd. US-Dollar wachsen2 und die Zuschauerzahl dürfte die Marke von 646 Millionen erreichen3. Die zehn wertvollsten eSports-Unternehmen hatten 2022 zusammen einen Wert von 3,5 Mrd. US-Dollar, ein Plus von 46% gegenüber dem Ranking von Dezember 2020.4
Ganze Länder sind mit von der Partie. Saudi-Arabien plant, bis 2030 38 Mrd. US-Dollar an öffentlichen Geldern zu investieren, um aus dem Königreich eine eSports-Hochburg zu machen. Dadurch sollen 35.000 Arbeitsplätze geschaffen und ein Beitrag von 13,3 Mrd. US-Dollar für die Wirtschaft geleistet werden. Durch modernste Business-Infrastruktur werden neue Berufsfelder geschaffen und die Professionalisierung der Branche wird gefördert.
Boban Totovski, Generalsekretär der International Esports Federation, sagt, dass eSports für den Golfstaat ein Mittel seien, um die Reichweite zu vergrössern und im Rahmen der Modernisierungsbemühungen mehr Touristen und Unternehmen ins Land zu locken. Da eSports gerade erst den Kinderschuhen entwachsen ist, ist es für Länder hier leichter als in etablierten Entertainment-Nischen, sich ein Stück vom Kuchen zu sichern.
„Hollywood ist keine Option mehr, aber eSports ist noch unstrukturiert“, sagt Totovski.
Trotz des positiven Trends ist der eSports-Sektor im aktuellen Wirtschaftsumfeld Gegenwind ausgesetzt – es könnte ein eSports-Winter drohen. Während der Coronapandemie boomte der Sektor, da Millionen von Menschen gezwungen waren, sich zuhause zu beschäftigen. Jetzt, wo die Werbebudgets kleiner werden und wieder mehr Menschen Entertainment-Möglichkeiten ausserhalb ihres Zuhauses suchen, könnte sich das Klima eintrüben. Kryptowährungsunternehmen, einst wichtige Sponsoren, weil sich die Zielgruppen überlappen, sind auf dem Rückzug, und diese Lücke muss erst noch durch grosse Fortune-500-Unternehmen geschlossen werden. „Sie sind schwerfällig und nicht so agil und haben Bedenken hinsichtlich des Rufs ihrer Marke, Stichwort Markensicherheit“, sagt LaHaye.
„Vor einigen Jahren haben die Leute Unmengen an Geld in eSports gesteckt, weil sie glaubten, dass die Einnahmequellen durch die Zuschauer 2022 oder 2023 nur so sprudeln würden. Das ist noch nicht geschehen“, sagt LaHaye und macht dafür den weltweiten Konjunkturabschwung, die Abneigung der Anleger gegenüber gewinnlosem Wachstum und den jüngsten Krypto-Kollaps verantwortlich. „Der Grossteil der Einnahmen lässt sich mit dem allgemeinen Aufstieg des Gaming-Sektors erklären.“ Er sagt, dass bei den Umsatzanteilen von Leagues und Events sowie Preisgeldern noch viel Luft nach oben ist.
Es bilden sich aber bereits Geschäftsmodelle heraus. Eines davon ist Talent Management, da eSports-Organisationen immer mehr zu Talent- und „Influencer“-Agenturen werden. Gebrandete Kleidung und Lifestyle-Produkte sind auf dem Vormarsch, zum Beispiel Gaming Energy Drinks in den Geschmacksrichtungen Himbeere, rosa Limonade und Traube für die Marathon-Session. Es entstehen auch Unternehmen, die ergänzende Dienstleistungen anbieten. TSM, ein nordamerikanisches eSports-Team, erzielt den grössten Teil seines Umsatzes mit einer App namens Blitz, die das Spielerlebnis der League of Legends durch die Analyse von Statistiken sowie Tipps und Training verbessert.
„Viele eSports-Organisationen generieren ihren Umsatz durch Nebengeschäfte im Gaming“, sagt LaHaye. Er vergleicht Blitz, die eSports-Training anbieten, mit den „Pickel- und Schaufel“-Unternehmen, die während des Kalifornischen Goldrauschs das meiste Geld machten, nämlich durch den Verkauf von Schaufeln. Das zeigt, dass Geschäftschancen häufig in Nebenbereichen eines boomenden Sektors zu finden sind.
Arnold Hur, Chief Executive Officer bei Gen.G, einem Unternehmen, das eigene eSports-Teams hat und Bildungsinitiativen durchführt, sagt, dass eSports-Organisationen Marketingpotenzial erschliessen. „Einige Teams erkennen, dass sie etwas haben, durch das eine Marke, Marketing und eine engagierte Community entsteht. Einige gründen Medien- und Entertainmentunternehmen. Andere bringen ihre eigenen Games heraus.“ Hur sagt, dass eSport-Teams „einen unglaublichen Marketingmotor geschaffen haben, daher wird die Frage lauten, welche Unternehmen wir darauf aufbauen können“.
Grosse Marken erkennen immer mehr den kommerziellen Wert der Branche. Louis Vuitton hat in Zusammenarbeit mit League of Legends eine Kollektion herausgebracht und Gucci hat eine Gaming Academy eröffnet, um Nachwuchstalente zu betreuen und zu coachen. Nestlé schaltet auf Twitch Werbung und hat 2021 einen Sponsoring-Vertrag mit NRG Esports unterzeichnet, dem damals grössten Teamsponsoring dieser Art. Laut LaHaye hat Red Bull eine „starke und konsequente“ eSports-Präsenz. Das Unternehmen ist mittlerweile Gastgeber für mehr als 20 Turniere im Jahr und sponsert einige der ganz grossen Teams und Events in aller Welt.
Es stellt sich die Frage, ob andere grosse etablierte Unternehmen ihrem Beispiel folgen und Kapital für das Wachstum des Sektors bereitstellen werden. Eine weitere Herausforderung besteht in der Verbesserung der Diversität und Inklusion. eSports sollten theoretisch in hohem Masse inklusiv sein, da sie zu den wenigen Sportarten gehören, bei denen Männer und Frauen direkt gegeneinander antreten können (ein weiteres Beispiel sind Pferderennen). Aber Frauen waren in der Vergangenheit aufgrund von Toxizität, Sexismus und Frauenfeindlichkeit einiger Gamer unterrepräsentiert oder ganz ausgeschlossen. Alice Leaman, Head of Operations bei der British Esports Federation, sagt, dass die Branche alles dafür tue, um das Gaming-Umfeld angenehmer zu gestalten:
„Ein Grossteil unserer Arbeit besteht darin, Vorbilder zu präsentieren und aufzuzeigen, welche Möglichkeiten und Karrierewege es für semiprofessionelle Player gibt. Es gibt noch viel zu tun und es ist ein langfristiges Ziel, aber solange wir alle an einem Strang ziehen, können wir eSports zu einem inklusiven und sicheren Raum machen.“
[2] https://www.sportspromedia.com/opinions/esports-gaming-market-2022-faze-clan-streaming-acquisitions-microsoft-activision/
[3] The gaming playbook, GWI
[4] https://esportsinsider.com/2022/12/prince-faisal-saudi-arabia-esports