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Barometer: Risiko neutralisieren
Asset-Allocation: Schuldenbremse kein Bremsklotz
Die US-Schuldenbremse beherrscht die Schlagzeilen, aber die Märkte sind davon überzeugt, dass ein Kompromiss erzielt werden kann. Somit ist nicht viel Raum für eine Erholungsrally bei Aktien.
Entscheidender ist die Frage, in welche Richtung sich die globale Wirtschaft entwickelt, da sich die Aussichten für die USA in den letzten Wochen verschlechtert haben, die Entwicklung Chinas nach Covid enttäuscht und Deutschland am Straucheln ist. Und da die Inflation nicht so schnell sinkt wie erwartet, fragen sich die Investoren, wie schnell die Zentralbanken wohl zu einer Lockerung der Geldpolitik übergehen und wann die Zinssätze ihren Höhepunkt erreicht haben. Das ist einer der Gründe, warum Aktien nicht positiver auf die starke Gewinnsaison im ersten Quartal reagiert haben – die jüngste Vergangenheit mag unter guten Vorzeichen gestanden haben, aber die Zukunft wird immer ungewisser.
Daher bleiben wir bei unserer allgemeinen Vermögensallokation vorsichtig positioniert, was bedeutet, dass wir Anleihen übergewichten und Aktien untergewichten.
Unsere globalen Konjunkturzyklusindikatoren deuten auf eine Abschwächung der Dynamik in den Industrieländern hin, während die Schwellenländer weiterhin ein positives Wachstum verzeichnen. Wir beobachten auch eine zunehmende Divergenz innerhalb des Industrieländeruniversums. Die drastischen Zinserhöhungen der US-Notenbank seit Anfang letzten Jahres scheinen die US-Wirtschaft jetzt empfindlich zu treffen. Die US-Konsumenten reagieren darauf, indem sie ihr Geld lieber für schlechte Zeiten beiseite legen. Das Volumen der überschüssigen Ersparnisse und die relativ niedrige Verschuldung der privaten Haushalte lassen jedoch darauf schliessen, dass das Wachstum zwar unter sein Potenzial sinken wird, die USA jedoch nicht in eine Rezession abrutschen dürften.
Im Gegensatz zieht das Wachstum in der Eurozone an – aber auch hier sind nicht alle Signale positiv. Den Stimmungsindikatoren zufolge entwickelt sich die Wirtschaft in unterschiedlichem Tempo – im Dienstleistungssektor geht es gut voran, während das verarbeitende Gewerbe hinterherhinkt, obwohl der Auftragsbestand in Deutschland weiterhin deutlich über dem Trend liegt. Insgesamt hat sich die Handelsbilanz der Eurozone nach dem Energieschock erholt, der durch die russische Invasion in die Ukraine ausgelöst wurde. Das dürfte den Deflationstrend verstärken. Die japanische Wirtschaft schraubt sich weiter hoch – dank der robusten Inlandsnachfrage wächst das BIP stetig. Die japanische Notenbank könnte diese Entwicklung jedoch bremsen, wenn sie – wovon wir ausgehen – ihre ultralockere Geldpolitik aufgibt.
Wir halten die Aussichten für die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft weiter für positiv – die Nachfrage nach der Pandemie ist hoch und die Hypothekenzinsen sinken. Wann genau sich die Erholung einstellen wird, ist jedoch ungewiss, da die Aktivitätsdaten für April deutlich schwächer ausgefallen sind als erwartet. Die Einzelhandelsumsätze liegen 12 Prozent unter dem Trend, und der Immobiliensektor ist immer noch am Straucheln.
Unsere Liquiditätsindikatoren zeigen einen asynchronen globalen Zyklus – in den Industrieländern schrumpft die Liquidität, in den Schwellenländern nimmt sie zu. Aber auch in den Industrieländern ist der Rückgang weniger stark als zu Jahresbeginn, da der Inflationsdruck abnimmt und – im Falle der USA – das Finanzministerium hauptsächlich dadurch Liquidität in das System pumpt, indem der riesige Barmittelbestand abgebaut wird und die Fed den Finanzsektor mit einer Nothilfe unterstützt.
Obwohl die Fed weiter auf Straffungskurs ist, glauben wir, dass sie vorerst eine Pause einlegen wird. Dadurch verbessern sich jedoch nicht unbedingt die Liquiditätsbedingungen – eine sinkende Inflation bedeutet, dass die Realzinsen steigen. Gleichzeitig könnte es sein, dass das US-Finanzministerium seine Bilanz wieder ausbaut, sobald der Streit um die Schuldenbremse beigelegt ist. Dadurch reduziert sich ebenfalls die Liquidität (siehe Abb. 2). Dennoch hat der Markt hohe Zinserwartungen – und rechnet mit einer Senkung um 170 Basispunkte in den nächsten 18 Monaten.
Unsere Bewertungskennzahlen zeigen, dass die meisten Anlageklassen weitgehend neutral bewertet sind – obwohl die Streuung von Bewertung und Renditen bei den grossen Anlageklassen ungewöhnlich niedrig ist, was darauf hindeutet, dass das Marktrisiko zu niedrig einschätzt wird. Schwellenländeraktien erscheinen günstig, hauptsächlich aufgrund der Schwäche chinesischer Aktien. Bei japanischen Aktien sind die Bewertungen aufgrund der Gewinne im vergangenen Monat von günstig auf neutral gestiegen.
Insgesamt weisen die Aktienkennzahlen unserem Modell zufolge für die nächsten zwölf Monate nur begrenztes Aufwärtspotenzial auf. Die Kennzahl für den US-Markt liegt 15% über unserem mittelfristigen Fair Value – allerdings könnte eine sinkende Inflation kurzfristig zu einem Überschiessen dieses Wertes führen. Dieses Jahr entwickeln sich die Unternehmensgewinne in den USA und Europa unverändert, während es in den Schwellenländern positive Überraschungen geben könnte.
Unser allgemeines markttechnisches Signal ist für Aktien weiterhin positiv, wobei die Dynamik an den Märkten in Japan und der Schweiz weiter zunimmt. Europäische und britische Aktien hingegen haben unter saisonalen Einflüssen zu leiden. Im Allgemeinen sind die Stimmungsindikatoren neutral, mit Ausnahme japanischer Aktien, die jetzt überkauft erscheinen. Der Anleihen-Score blieb unverändert auf neutral, wobei der US-Staatsanleihenmarkt auf neutral hochgestuft wurde.
Die meisten Umfragen unter Investoren deuten auf eine Abnahme der Risikobereitschaft hin – die Fondsmanager geben an, dass ihre Anleihenallokation auf dem höchsten Stand seit 14 Jahren liegt. Abflüsse aus Aktien haben sich im Monatsverlauf beschleunigt. Davon waren hauptsächlich US-Titel betroffen. Gleichzeitig sind die Zuflüsse in Geldmarktpapiere und in Staatsanleihen weiterhin stark.
Aktienregionen und -sektoren: Zeit ist für China abgelaufen
Ein Mann, der darauf wartet, dass ihm eine gebratene Ente in den Mund fliegt, wird lange warten. So lautet ein altes chinesisches Sprichwort. Und bei chinesischen Aktien finden wir, dass wir lange genug gewartet haben.
Die Wiederöffnung des Landes nach der Pandemie hat sich nicht in einer positiven Stimmung in puncto Unternehmensgewinne niedergeschlagen und auch die wirtschaftliche Erholung entspricht nicht ganz den Erwartungen. In den letzten Wochen haben sich auch die geopolitischen Risiken verschärft. All das sagt uns, dass es an der Zeit ist, chinesische Aktien auf neutral herabzustufen.
Das ist eine taktische Entscheidung.
Die Bewertungen chinesischer Aktien sind nach wie vor attraktiv (infolge der jüngsten schwachen Performance ist China nach Osteuropa nun die zweitgünstigste Region in unserem Modell).
Die wirtschaftliche Erholung könnte noch Fahrt aufnehmen, davon gehen zumindest unsere Ökonomen aus. Mittel- bis langfristig sehen wir weiterhin starkes Potenzial bei chinesischen Anlagewerten.
Chinesische Unternehmen müssen jedoch erst einmal Wege finden, das BIP-Wachstum in Gewinnwachstum umzumünzen (siehe Abb. 3). Solange das nicht passiert, werden wir unser Engagement vermutlich nicht wieder ausbauen.
Während chinesische Aktien enttäuschten, war bei europäischen Aktien das Gegenteil der Fall. Das Wirtschaftswachstum in der Region hat sich als widerstandsfähiger erwiesen als erwartet (die Wirtschaft der Eurozone wächst im Jahr 2023 um 0,7%, vor sechs Monaten sind wir noch von 0,2% ausgegangen), die Energiepreisdynamik hat positive Effekte, die Bewertungen sind neutral und das Momentum der Unternehmensgewinne ist positiv. Wir beenden daher unsere Untergewichtung in Europa.
Bei Schwellenländeraktien ohne China bleiben wir übergewichtet, weil die Bewertungen nach wie vor attraktiv sind. Wir gehen davon aus, dass sich der Abstand beim Wirtschaftswachstum zwischen Schwellen- und Industrieländern in diesem Jahr deutlich vergrössern wird – die Schwellenländer dürften viermal so schnell wachsen. Diese Entwicklung zugunsten von Schwellenländeranlagen dürfte sich 2024 fortsetzen.
Bei den Sektoren sind wir eher defensiv positioniert und bevorzugen Kommunikationsdienstleistungen und Basiskonsumgüter. Wir sind auch bei Technologie zu einer Übergewichtung übergegangen, da Unternehmen in diesem Sektor für ihre hohe Rentabilität und ihre geringe Fremdverschuldung in einem Umfeld schwachen Wirtschaftswachstums und steigender Zinsen belohnt werden. Im Technologiesektor ist zudem der Anteil der Unternehmen, die die Gewinnerwartungen übertroffen haben, mit 89% am höchsten, der Durchschnitt im S&P 500 liegt bei 77%.1
Dagegen sind wir nicht mehr ganz so angetan von Gesundheitswerten und gehen zu einer neutralen Positionierung über. Obwohl der Gesundheitssektor traditionell als sicherer Hafen angesehen wird, kommen momentan keine defensiven Eigenschaften zum Tragen – bislang wurden praktisch keine Gewinne erzielt. Nach unserem Dafürhalten ist die Schwäche teilweise einer Neubewertung der Aussichten für den Sektor nach Covid geschuldet. Darin spiegeln sich auch die Effekte des US Inflation Reduction Act, mit dem die Preise für Medikamente gesenkt wurden, sowie die übliche Unsicherheit über die Aussichten des Sektors vor dem Hintergrund der näher rückenden Wahlen wider.
Wir stufen auch Finanzwerte auf untergewichtet herab. Die Regionalbankenkrise in den USA setzt sich fort und die Aussichten für die Nettozinsmargen der Kreditgeber werden weiterhin durch eine invertierte Zinskurve getrübt.
Anleihen und Währungen: Effektives Schutzschild
Investoren, die in defensive und ertragsgenerierende Anlagewerte investieren wollen, eröffnen sich immer mehr Möglichkeiten.
Viele hochwertige Staats- und Unternehmensanleihen sind mittlerweile so attraktiv bewertet, dass sie eine kostengünstige Absicherung gegen eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen und der Unternehmensgewinne sind.
Wir bleiben in US-Staatsanleihen übergewichtet, einem sicheren Hafen, der auch von abnehmendem Preisdruck profitiert. Die Verbraucherpreise in der weltgrössten Volkswirtschaft fielen im April zum zehnten Mal in Folge. Das stärkt die Zuversicht, dass die Fed auf einem guten Weg ist, ihren Kampf gegen die Inflation zu gewinnen. Und die Investoren scheinen sich keine Gedanken wegen der US-Schuldenbremse zu machen.
Wir halten die Markterwartungen an eine Zinssenkung in diesem Jahr für zu aggressiv, gehen aber davon aus, dass die Fed ihre Straffungskampagne zumindest aussetzen wird. Das dürfte auch den Investment-Grade-Anleihen des Landes zugute kommen, in denen wir ebenfalls übergewichtet sind.
US-Anleihen mit hohem Rating, die aktuell mit 5,5% rentieren und den Inflationserwartungen für die nächsten zehn Jahre Rechnung tragen, liegen einen ganzen Prozentpunkt über dem Dividendenertrag des S&P 500 – der grösste Abstand seit 2010. Bei europäischen Staatsanleihen sind wir neutral gewichtet.
Die Zentralbanken der Eurozone und des Vereinigten Königreichs dürften zwei weitere Zinserhöhungen vornehmen, bevor sie ihre Straffungskampagne aussetzen, da die Region hinter dem Anhebungszyklus der Fed zurückliegt und die Inflation sich hartnäckig hält. Japan ist der einzige Anleihemarkt der Industrieländer, den wir untergewichten.
Die Inflation, die im April auf ihrem höchsten Stand seit 41 Jahren lag, dürfte auf einem Niveau verharren, das zu hoch ist, als dass die japanische Notenbank von ihrer ultralockeren Geldpolitik abrücken könnte.
Die Notenbank dürfte sich darauf vorbereiten, ihre Politik der Zinskurvensteuerung aufzugeben und die Zinsen nicht länger unter Null zu halten. Im Anleihesektor sind wir nicht mehr ganz so pessimistisch, was die Aussichten für hochverzinsliche Schuldtitel der Eurozone anbelangt. Wir gehen daher von einer Untergewichtung zu einer neutralen Gewichtung über.
Die Anlageklasse dürfte besser abschneiden als ihr US-Pendant, das aufgrund der Regionalbankenkrise und der verschärften Kreditvergabebedingungen unter Druck steht.
US-Hochzinsanleihen müssen sich auch auf ein strengeres regulatorisches Umfeld – die Fed wird in den kommenden Monaten neue Kapitalvorschriften vorlegen – und eine geringe Kreditnachfrage einstellen müssen.
Die Nachfrage nach Geschäfts-und Gewerbekrediten befindet sich auf einem historisch niedrigen Niveau von -53,3% auf Nettobasis und ist beispielsweise bei gewerblichen Immobilienkrediten auf ein Allzeittief gesunken.
Wir sind auch von Schwellenländeranleihen in Lokalwährung ausserhalb Chinas angetan. Die Inflation geht in allen Schwellenländern schneller als in den Industrieländern zurück. Das liegt daran, dass die Warenpreise, die im Inflationskorb der Schwellenländer stärker ins Gewicht fallen, sich schneller normalisieren als die von Dienstleistungen.
Auf den Devisenmärkten dürfte der US-Dollar weiterhin unter Druck stehen, da die Inflation nachlässt und die Investoren darauf setzen, dass die Fed bis Ende des Jahres die Zinssätze senken wird.
Wir bleiben weiterhin defensiv ausgerichtet und haben uns für eine Untergewichtung des Greenback gegenüber Gold, das durch Zentralbankkäufe gestützt wird, und dem Schweizer Franken, einem sicheren Hafen, der im Zuge der Zinsanhebungen durch die Schweizerische Nationalbank ebenfalls aufwerten dürfte, entschieden.
Globale Märkte insgesamt: Keine klare Richtung
Die grosse Frage ist, in welcher Verfassung sich die globale Wirtschaft befindet und wie schnell die Inflation sinken kann – das führt dazu, dass die Märkte im Mai mehr oder weniger auf der Stelle treten. Das Drama um die US-Schuldenbremse hat die Investoren nicht sonderlich interessiert, aber es hat die allgemeine Unsicherheit erhöht. Infolgedessen büssten Aktien im Monatsverlauf 0,2% und Anleihen 0,8% (jeweils in Lokalwährung) ein.
Erneut rückte der US-Dollar als sicherer Hafen in den Vordergrund. Der Greenback legte während des Monats um 2,6% zu und machte seine bisherigen Verluste seit Jahresbeginn mehr als wett. Auch US-Aktien entwickelten sich relativ gut und verbuchten im Monatsverlauf einen Anstieg von 0,7%. Die Performance konzentrierte sich jedoch stark auf Technologie und Kommunikation, die um 2,6% bzw. 8,5% zulegten. Die verlustbringenden Sektoren waren breit gestreut – Immobilien, Grundstoffe und Basiskonsumgüter verloren im Monatsverlauf allesamt mehr als 5%, und Energie ging um 8,4% zurück, weil der Ölmarkt um 7,5% einbrach.
Ein echter Ausreisser im positiven Sinne war der japanische Aktienmarkt, der um 4,5% zulegte, weil die japanische Wirtschaft endlich an Fahrt aufnimmt (siehe Abb. 5). Andere Märkte waren in einer misslichen Lage. Das Vereinigte Königreich bildete mit einem Verlust von 5,2% das Schlusslicht, weil sich die Investoren Sorgen darüber machten, wie die Bank of England wohl reagieren wird, um die hartnäckige Inflation zu bekämpfen.
Der britische Anleihemarkt war ähnlich belastet; die Staatsanleihen des Landes verzeichneten im Monatsverlauf einen Verlust von 3,4%. US-Staatsanleihen entwickelten sich ebenfalls schlecht, mit einem Rückgang von 1,6%, ebenso wie Staatsanleihen der Schwellenländer. EM-Anleihen in Lokalwährung verloren 1,6%, und auch EM-Hartwährungsanleihen verbuchten Verluste.
Europäische Unternehmensanleihen entwickelten sich etwas besser, der US-Markt dagegen schwächelte. Europäische Hochzinsanleihen stiegen um 0,7%, während US-Investment-Grade- und -Hochzinsanleihen beide zurückgingen (um 1,3% bzw. 0,9%).
Rohstoffe verzeichneten einen Verlust von 6,1%, was sich negativ auf Schwellenländerwährungen und den australischen Dollar auswirkte. Auch Gold musste 1% abgeben, verzeichnete jedoch seit Jahresbeginn weiterhin einen soliden Zuwachs von 8,6%.