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Aarti Lohias Kunstsammlung ist Ausdruck ihres persönlichen Geschmacks und ihres eigenen Lebenswegs
Das allererste Kunstwerk, das Aarti Lohia gekauft hat, war ein Gemälde des indonesischen Künstlers Putu Sutawijaya mit dem Titel Looking for Wings. Das imposante Werk zeigt verschiedene männliche Figuren: Die im unteren Teil des Bildes kämpfen miteinander und wirken gequält, doch im oberen Teil sieht man die gleichen Figuren mit Flügeln geschmückt. „Da steckt so viel Symbolik dahinter“, meint Aarti Lohia im Rückblick auf diesen ersten Kauf. „Es ist wie die eigene Reise durchs Leben; es gibt unzählige Auslegungen.“
Kunst löst immer etwas im Betrachter aus. Als Aarti Lohia sich von Looking for Wings angesprochen fühlte, durchlief sie gerade eine schwierige Phase in ihrem Leben. Sie war in Delhi aufgewachsen, hatte mit 20 Jahren geheiratet und war nach Indonesien zu ihrem Ehemann gezogen. Amit Lohia war Vizechef der Indorama Corporation, einem der grössten Petrochemieunternehmen derWelt (das sein Vater Sri Prakash Lohia gegründet hatte). Es war der Höhepunkt der Finanzkrise in Asien, und Indonesien wurde von politischen Turbulenzen und Unruhen heimgesucht. „Das Land stand buchstäblich in Flammen“, sagt sie und denkt an ihre erste Reise dorthin und die Busse und Geschäfte, die in Flammen standen. Ausserdem hatte Aarti Lohia nur zwei Wochen nach der Hochzeit ihre Mutter verloren. „Es war eine sehr schwierige Zeit für mich, und die Kunst halft mir dabei, die Geschehnisse zu verarbeiten“, sagt sie. „Das ist nun 25 Jahre her, und ich liebe dieses Bild noch immer. Es gehört in der Sammlung nach wie vor zu meinen Lieblingsgemälden.“
Seit Ende der 90er Jahre hat Aarti Lohia eine Sammlung von über 200 Werken aus aller Welt aufgebaut, darunter Werke des pakistanischen Künstlers Imran Qureshi, des britischen Bildhauers Antony Gormley und der indischen Fotografin Dayanita Singh. Die Kollektion ist jedoch weniger ein bewusstes Arrangement als vielmehr ein Spiegelbild ihres persönlichen Geschmacks und ihres weltumspannenden Lebenswegs. „Ehrlich gesagt, hatte ich nie vor, Sammlerin zu werden“, sagt sie auf einer eleganten Chaiselongue im Empfangsraum ihres Hauses im Londoner Westen sitzend, wo sie und ihre Familie seit sieben Jahren leben. „Eine Kunstsammlung zu haben war nie mein Plan.“ Stattdessen habe sie stets eine glühende Leidenschaft empfunden, Künstler und deren Arbeit zu unterstützen. „Kunst ist ja ohne Mäzene nicht denkbar“, sagt Aarti Lohia. „Ein wichtiger Aspekt des Sammelns ist für mich, dass ich lebende Künstlerinnen und Künstler unterstütze, die heute mein Geld brauchen, um ihre Familie zu ernähren, zu reisen und zu recherchieren.“
Ausserdem unterstützt Aarti Lohia lieber lebende Künstler, weil deren Arbeit neue Diskussionen in Gang setzen und wichtige Themen ins Gespräch bringen kann. Die Familie ihres Mannes etwa sammelt vor allem Werke der europäischen Renaissance – von Künstlern, die schon lange tot sind. Für Aarti Lohia sind diese Werke zwar oft unbestreitbar schön, aber bei Weitem nicht so interessant. „Man schätzt diese Kunst, aber man spricht kaum darüber. Es ist ja schon alles gesagt.“ Zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler dagegen befassen sich natürlich mit unserer eigenen Zeit, und ihr Werk wurde noch nicht bis ins Letzte diskutiert und analysiert
Für den Aufbau ihrer Sammlung verfolgte Aarti Lohia weder einen taktischen Plan noch definierte sie einen regionalen Schwerpunkt. Zwar umfasst ihre Sammlung viele süd- und südostasiatische Künstler, doch ist dies nicht auf einen strategischen Wunsch zurückzuführen, regionale Kunst zu sammeln, sondern vielmehr darauf, was sie persönlich anspricht und wo sie gelebt hat. „Ich finde, zeitgenössische Kunst sollte nicht nach Region definiert werden“, sagt sie. Angesichts unserer multikulturellen Gesellschaften und globalen Dialoge seien solche Definitionen nutzlos.
Allerdings sei Repräsentation ein Thema, das Aarti Lohia zunehmend am Herzen liegt. „Für mich wird immer wichtiger, dass sich jemand für die Belange dieser Künstler einsetzt, dass sie eine Stimme haben“, sagt sie. Als Aarti Lohias Sammlung wuchs und ihr ein Ruf als reflektierte und engagierte Kunstmäzenin vorauseilte, wurde sie in verschiedene Ausschüsse und Gremien von Museen wie dem Museum of Modern Art (MoMA) in New York oder der Tate Modern, dem V&A und den Serpentine Galleries in London berufen. Für die Tate etwa wirkte sie am Ankauf südasiatischer Kunst mit. „Ich habe das Gefühl, dass man mir zuhört, und das möchte ich sinnvoll nutzen“, sagt sie. „Und sei es nur, um sechs Menschen auf einen Künstler aufmerksam zu machen, der grossartige Arbeit leistet.“
Dabei läuft der Informationsaustausch in beide Richtungen: Im Gegenzug erlebt Aarti Lohia aus nächster Nähe, wie einige der grössten und erfolgreichsten Museen der Welt arbeiten. „Mich interessiert wirklich sehr, wie Museen ihre Sammlungen aufbauen“, sagt sie. „Und das erfährt man nur, wenn man die Kuratorinnen und Kuratoren trifft.“ Diese Erkenntnisse bringt sie auch in das Kuratorium der Biennale von Kochi ein, der ersten ihrer Art in Indien – einer von Künstlern geleiteten Veranstaltung, die ihrer Meinung nach „die zeitgenössische indische Kunst auf ein Niveau gebracht hat, das vor 20 Jahren undenkbar gewesen wäre“
Einen grossen Teil ihrer Zeit widmet Aarti Lohia also der Kunst, doch daneben leitet sie auch die SP Lohia Foundation, eine gemeinnützige Stiftung, die den Namen ihres Schwiegervaters trägt und verschiedenste Aktivitäten finanziert, von der Digitalisierung alter Bücher (einer besonderen Leidenschaft von Sri Prakash Lohia) bis hin zur Schachförderung in Grossbritannien. (Aarti Lohia bezeichnet sich selbst als „Schachmama“, weil sie die letzten Jahre dem Training und den Reisen mit ihrem Sohn gewidmet hat, der dreifacher britischer U13-Schachmeister ist.) Ausserdem betreibt die Stiftung Zentren für Staroperationen in Asien und Afrika. In den kommenden Jahren möchte Aarti Lohia die Mission der Stiftung „optimieren“ und deren Aktivitäten ausweiten.
Die Stiftung geriet kürzlich in die Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass sie die National Gallery in London als führender philanthropischer Förderer des Programms für moderne und zeitgenössische Kunst unterstützen wird, zeitgleich mit dem 200-jährigen Jubiläum des Museums. „Einen südasiatischen Förderer hatten sie dort noch nie“, sagt Aarti Lohia und strahlt. „Das ist grossartig.“ In diesem Rahmen wird die indische Künstlerin Nalini Malani einige ihrer Videoarbeiten auf die Museumsfassade am Trafalgar Square projizieren. Angesichts dieser Perspektive denkt Aarti Lohia schon an ihr Vermächtnis. „Ich denke dabei an meinen Jüngsten, der jetzt sechs Jahre alt ist“, sagt sie. „Wenn er als Erwachsener über den Trafalgar Square geht und jemand sagt: ,Erinnerst du dich, dass hier einmal eine indische Künstlerin ihre Videos gezeigt hat‘, dann wird mein Sohn sagen: ,Ja, da sass meine Mutter mit am Tisch. Das war ihr Verdienst.‘“ Doch bei einer Frau in den Vierzigern, der man anmerkt, wie viel Kraft und Sachverstand sie noch in die Kunstwelt einzubringen hat, ist es für solche Überlegungen natürlich viel zu früh.