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Ist laserbasierte Kernfusion die Zukunft der Energieerzeugung?
Die Kernenergie ist im Zuge der weltweiten Abkehr von fossilen Brennstoffen ins Rampenlicht gerückt. Weil sie emissionsfrei günstig Strom liefert, wurde sie 2022 von der Europäischen Kommission zur „grünen“ Energiequelle erklärt – und damit zu einem entscheidenden Instrument im Streben nach Klimaneutralität. Viele Länder sehen das so. Die weltweite Erzeugung von Atomstrom wird 2025 ein Rekordniveau erreichen.
Doch trotz der dynamischen Entwicklung steht die Kernenergie nach wie vor in der Kritik. Bei der Stromerzeugung durch Kernspaltung – bei der ein Neutron ein schweres Element (meist Uran) spaltet und eine starke Kettenreaktion auslöst – entstehen grosse Mengen an radioaktivem Abfall, stets mit dem Risiko einer Atomkatastrophe, sollte etwas schiefgehen. Eine neue Riege von Forschern und Start-ups sieht in der Kernfusion eine Alternative, mit der sich Kernenergie ohne die damit verbundenen Risiken erzeugen liesse.
Das 2019 gegründete deutsche Start-up Marvel Fusion beispielsweise hat ein bahnbrechendes System entwickelt, das die Verschmelzung von Atomkernen mit Laserstrahlen anstösst, und ist überzeugt, dass es die Fusionsenergie schnell zur Marktreife bringen könnte. Marvel Fusion hat bis heute über EUR 60 Mio. an privaten Mitteln und mehr als EUR 150 Mio. über Kooperationsprojekte mit öffentlichen Einrichtungen eingeworben und ist damit das bestfinanzierte privatwirtschaftliche Fusionsenergieunternehmen in der EU. Dabei profitiert die Firma von einer grösseren Welle, denn mit dem Optimismus beim Thema Kernfusion steigen auch die Investitionen in rasantem Tempo: Von bislang rund USD 7 Mrd. ist der grösste Teil in den letzten drei Jahren geflossen. „Wir sehen jetzt, dass beispielsweise klassische Wagniskapitalfirmen und Family Offices alle in Fusionsenergie investieren“, sagt Heike Freund, COO von Marvel Fusion. „Es gibt eine wachsende Unterstützung von öffentlicher und privater Seite.“
Freund, die zuvor Partnerin bei McKinsey war und zu Marvel Fusion stiess, um dort die Expansion voranzutreiben, nennt für das wachsende Interesse verschiedene Gründe. Es gab Durchbrüche bei dem Nachweis, dass das Prinzip funktioniert, wie etwa im Jahr 2022 eine Demonstration an der National Ignition Facility in den USA, die gezeigt hat, dass Fusionsreaktionen mehr Energie erzeugen können, als zum Auslösen einer Reaktion benötigt wird. Durchbrüche sind aber auch bei den zugrunde liegenden Technologien zu erkennen, darunter eine Reihe nobelpreisgekrönter Fortschritte in der Kurzpuls-Lasertechnologie, auf die Marvel Fusion setzt. Viele Experten glauben, dass Fusionsenergie innerhalb von zehn Jahren ans Netz gehen könnte. Freund mahnt jedoch, dass sich die öffentliche Wahrnehmung zusammen mit der Branche entwickeln muss. „Wir müssen immer wieder erklären, dass Kernfusion das Gegenteil von Kernspaltung ist und dass es dabei weder ein Kettenreaktionsrisiko noch langlebigen Atommüll gibt. Ich glaube aber, die Menschen verstehen das jetzt.“
Weltweit gibt es 45 Fusionsenergieunternehmen. Sieben von ihnen setzen auf Laserfusion. Das Modell von Marvel Fusion besteht darin, eigene Technologien und Patente zu entwickeln – die Kernkompetenz liegt bei den Lasertypen und den Brennstoffpellets, sogenannten Targets – und beim Bau und Betrieb von Kraftwerken mit Partnern zusammenzuarbeiten. Um in der Forschungsphase ohne hohe Investitionen schnell voranzukommen, nutzt Marvel Fusion bestehende Laserforschungsanlagen in aller Welt – München, USA und Rumänien – und hat dort bis heute 2000 Experimente durchgeführt. Dabei sind die Möglichkeiten durch die Gegebenheiten der einzelnen Anlagen limitiert. Doch 2023 verkündete das Unternehmen eine Partnerschaft mit der Colorado State University zum Bau der ersten speziell für dieses Forschungsgebiet ausgelegten Laseranlage für USD 150 Mio. Hier können dann die Prototypen im industriellen Massstab getestet werden, die 2026 fertig sein sollen. „Damit können wir zum ersten Mal wirklich zeigen, was unsere einzigartige Lasertechnik kann“, sagt Freund. „Das ist ein wichtiger Meilenstein. Danach kommt ein Kraftwerk-Prototyp und dann ab 2035 der Roll-out von kommerziell nutzbaren Kraftwerken.“
Bei so langfristigen Zielen kommt es auch darauf an, den Energielevel im Unternehmen selbst hochzuhalten: „Ich denke, unsere Mitarbeitenden beziehen ihre Motivation daraus, dass Marvel Fusion für ein sinnvolles Ziel steht und letztendlich viel bewirken kann. Aber der Plan, dem wir folgen, erstreckt sich eben über zehn Jahre. Daher ist es sowohl intern als auch für unsere Gesellschafter und die sonstigen Stakeholder des Unternehmens sehr wichtig, dass wir uns für diese zehn Jahre konkrete Etappenziele setzen und wirklich zeigen, wie der Weg zu unserem Ziel aussieht, sichere, zuverlässige und CO₂-freie Energie zu erzeugen.“
Heike Freund
Master of Science in Wirtschaftsingenieurwesen am Karlsruher Institut für Technologie.
MBA-Abschluss an der Business School INSEAD.
Nach neun Jahren bei McKinsey Ernennung zur Partnerin.
Wechsel zum Start-up Marvel Fusion in München als COO, ein Jahr nach dessen Gründung.
Aufbau der Laserinfrastruktur von Marvel Fusion im Wert von bis zu EUR 45 Mio. mit Förderung durch die deutsche Bundesagentur für Sprunginnovationen.
Bekanntgabe der Partnerschaft zwischen Marvel Fusion und der Colorado State University zum Bau der ersten Laserforschungsanlage für USD 150 Mio.
Mit mehr als USD 60 Mio. an privaten Mitteln ist Marvel Fusion das bestfinanzierte privatwirtschaftliche Fusionsenergieunternehmen in der EU.