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Ein neues Kapital in der Clean Energy Saga der USA
Der rechtliche Rahmen für die Umweltpolitik der USA hat eine lange und komplexe Geschichte.
Eines der ehrgeizigsten Projekte von US-Präsident Barack Obama zur Bekämpfung des Klimawandels war der Clean Power Plan 2015 (CPP), eine Verordnung der US-Umweltschutzbehörde EPA, mit der die Kohleverstromung durch saubere Energiequellen ersetzt werden sollte. Als Donald Trump für das Präsidentenamt kandidierte, versprach er, den CPP aufzuheben. Er hielt Wort, und nach seinem Amtsantritt ersetzte er das Programm durch eine deutlich abgeschwächte Verordnung.
Am 19. Januar 2021, dem Tag vor der Vereidigung Joe Bidens zum US-Präsident, erklärte der US Court of Appeals for the District of Columbia Circuit (Berufungsgericht) die Massnahmen der Trump-Regierung für nicht konform mit dem Clean Air Act zur Reduzierung der Luftverschmutzung. Als Reaktion darauf kündigte die Biden-Regierung an, dass sie den CPP nicht wieder einführen werde, da er weitgehend obsolet geworden sei, und versprach, ein neues Regelwerk zu entwickeln, um den Kohleausstieg in den USA voranzutreiben.
Die Hoffnungen der Umwelt-Community in den USA erhielten jedoch am 29. Oktober 2021 einen unerwarteten Dämpfer, als der US Supreme Court ankündigte, er werde die Entscheidung des Berufungsgerichts überprüfen – noch bevor die EPA neue Vorschriften erlassen konnte. Das löste Befürchtungen aus, der Supreme Court – jetzt mit einer konservativen Mehrheit von sechs zu drei, einschliesslich drei von Trump ernannter Mitglieder – würde der EPA die meisten oder alle Befugnisse zur Bekämpfung des Klimawandels entziehen.
Der Supreme Court urteilte am 30. Juni 2022 mit der erwarteten Mehrheit von sechs zu drei Stimmen. In der Rechtssache West Virginia gegen die EPA entschied der Supreme Court gegen die EPA, aber nicht so drastisch wie befürchtet. Der oberste Gerichtshof erklärte, die EPA sei bei der Umsetzung des CPP zu weit gegangen, liess jedoch die anderen Befugnisse der Behörde weitgehend unberührt.
Der Supreme Court stützte seine Entscheidung auf die „Major Questions Doctrine“, eine recht neue gerichtliche Vorschrift, wonach eine US-Bundesbehörde nur mit konkreten und ausdrücklichen Anweisungen des Kongresses eine Massnahme von grosser wirtschaftlicher oder politischer Bedeutung ergreifen darf. Ein allgemeines Mandat zur Lösung eines grossen Problems reicht nicht aus. Obwohl der Supreme Court in einer richtungsweisenden Entscheidung aus dem Jahr 2007 in der Rechtssache Massachusetts gegen die EPA geurteilt hat, dass die EPA nach dem Clean Air Act die Treibhausgase regulieren muss, erklärte der oberste Gerichtshof dieses Mal, dass das Gesetz nicht spezifisch genug sei, um den CPP zu rechtfertigen, da dieser über die Regulierung spezifischer Kraftwerke hinausgehe und das gesamte Stromnetz als Verbundsystem regele.
Ein neues Hindernis für saubere Energie
Vom Kongress ist kaum etwas Konkretes zu erwarten. Der Kongress hat seit 1990 kein wichtiges neues Umweltgesetz erlassen. Die Kluft zwischen Demokraten (die im Allgemeinen strenge Umweltvorschriften befürworten) und Republikanern (die sich im Allgemeinen dagegen aussprechen) ist so gross geworden, dass der Kongress hier wie auch bei vielen anderen Themen auf der Stelle tritt.
Ein weiteres grosses Problem ist, dass niemand wirklich weiss, was eine „grosse Frage“ ist und was nicht. Durch diese Unsicherheit wird die Zahl der Gerichtsverfahren stark zunehmen. In den USA gibt es im Vergleich zu anderen Ländern deutlich mehr Rechtsstreits, bei denen staatliche Massnahmen angefochten werden. Eine vom Sabin Center for Climate Change Law geführte Datenbank zeigt, dass von den fast 2.000 Prozessen weltweit im Zusammenhang mit dem Klimawandel mehr als 70 Prozent in den USA geführt wurden.
Nach dem Urteil in der Sache West Virginia werden diejenigen, die sich gegen bundesbehördliche Massnahmen aussprechen, sicherlich die „Major Questions“-Doktrin bemühen, neben ihren sonstigen Forderungen. Die Securities and Exchange Commission hat beispielsweise eine wichtige Vorschrift angeregt, die die Offenlegung der direkten und indirekten Treibhausgasemissionen von Unternehmen vorschreibt. Wenn diese Vorschrift in finaler Form erlassen wird, wird sie sicherlich vor Gericht angefochten werden. Eines der Argumente wird sein, dass die SEC nicht ohne klarere Anweisungen des Kongresses handeln darf.
Diese Unsicherheit wird nicht vor Umwelt- und Energievorschriften Halt machen. Auch bundesbehördliche Massnahmen in Bereichen wie Lebensmittel und Medikamente, Gesundheit und Sicherheit, Telekommunikation usw. werden auf den Prüfstand gestellt werden. Das heisst nicht, dass die Prozesse auch gewonnen werden oder dass die bundesstaatlichen Vorschriften während des Verfahrens ausgesetzt werden.
Die Unternehmen werden jedoch Probleme haben zu beurteilen, welche Vorschriften für sie gelten.
Dennoch verfügt die US-Regierung über viele Instrumente zur Bekämpfung des Klimawandels. Die Entscheidung im Fall West Virginia dürfte die Bemühungen um die Förderung saubererer und kraftstoffeffizienterer Kraftfahrzeuge nicht bremsen. Sie hat keine Auswirkungen auf die EPA-Regulierung von Treibhausgasemissionen aus stationären Quellen wie Kraftwerken und Fabriken, die auch andere Luftschadstoffe emittieren. Das Urteil bedeutet nicht, dass EPA die sonstigen Umweltauswirkungen von Kohlekraftwerken und -bergwerken – Luftverschmutzung, Kohleasche, erhitztes Wasser und andere Arten der Luftverschmutzung – nicht mehr regulieren darf. Staatliche Subventionen und Anreize für erneuerbare Energien sowie Vorschriften, die eine höhere Energieeffizienz von Geräten und Industrieanlagen verlangen, bleiben unberührt. Bundesstaatliche und kommunale Verwaltungen behalten alle ihre Befugnisse.
Es wurde ein Instrument aus dem Instrumentarium der US-Klimaschutzgesetzgebung gestrichen, aber viele andere bleiben bestehen. Und die Bewegung hin zu sauberer Energie wird sich fortsetzen und Fahrt aufnehmen.