Das Netz für sauberen Strom

Das Netz für sauberen Strom

Ein grünerer Planet braucht deutlich mehr Strom – und das aus sauberen Quellen. Dafür brauchen wir ein intelligenteres Stromnetz.

Der schrittweise Ausstieg aus fossilen Brennstoffen erfordert einen massiven Ausbau der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien, doch das Netz, das die Energie von den Erzeugern zu den Verbrauchern leitet, ist darauf nicht ausgelegt. Diese komplexen Netze, bestehend aus Stromerzeugungsanlagen, Übertragungsleitungen und Verteilungsinfrastrukturen, wurden in einer anderen Ära gebaut, in der zentralisierte Energiequellen, vor allem kohle- und gasbetriebene Kraftwerke, einen einseitigen Energiefluss zu den einzelnen Verbrauchsstellen lieferten. Diese Struktur bietet nur begrenzte Flexibilität für die Implementierung neuer Renewables-Technologien oder rasche Anpassungen bei der Verteilung im Netz.

„In gewisser Weise ist ein Stromnetz eine sehr komplexe Grossmaschine“, sagt Professor Phil Taylor, Prorektor Research & Enterprise der Universität Bristol und Leiter des EPSRC Supergen Energy Networks Hub, eines Forschungskonsortiums im Vereinigten Königreich. „Dafür ist es relativ einfach aufgebaut, und das war all die Jahre ausreichend.“

Die staatliche Finanzierung der Netze ist mit ihrer zunehmenden Komplexität gestiegen. Im Jahr 2023 wurden weltweit schätzungsweise 310 Mrd. US-Dollar in Stromnetze investiert (Anstieg von 5% gegenüber dem Vorjahr). Somit sind Stromnetze der drittgrösste Sektor nach elektrifiziertem Verkehr und erneuerbarer Energie, in den schwerpunktmässig Investitionen für die globale Energiewende fliessen.1 Die steigenden Investitionen konzentrieren sich auf erneuerbare Energien und intelligente Technologien. Der grösste Investor waren die USA mit einem Beitrag von 87 Mrd. US-Dollar, der sich auf die Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Netze gegen Umweltgefahren und die Verbesserung der Verteilungsnetze konzentrierte. China steuerte mehr als 79 Mrd. US-Dollar bei und finanzierte unter anderem die Integration grosser Cluster erneuerbarer Energien in sein Netz.

Das reicht jedoch nicht aus: Um bis 2050 das Ziel von Netto-Null-Emissionen zu erreichen, müssen die Investitionen des öffentlichen Sektors in die Netze bis 2030 fast verdoppelt werden, so die Internationale Energieagentur (IEA).

Am komplexesten ist die Situation sicherlich in den Industrieländern. Die Stromnetze sind hier älter, da diese Länder als erste mit der Elektrifizierung begonnen haben. Nur etwa 23% der Netzinfrastruktur in den Industrieländern sind vor weniger als 10 Jahren gebaut worden, und mehr als 50% sind über 20 Jahre alt.2 Es werden mehr Mittel benötigt, um diese Infrastruktur zu modernisieren, damit sie mit den neuen Energiequellen kompatibel ist. In den Schwellenländern stellen fehlende Investitionen auf der einen Seite ein Hemmnis dar, andererseits kann es für diese Länder von Vorteil sein, wenn neuere Netzinfrastrukturen vorhanden sind, da diese die Integration von Renewables-Projekten erleichtern. Die Modernisierung alter Infrastrukturen zur Anpassung an die Energiewende ist viel schwieriger.

Alles wird elektrisch

Die Umstellung auf saubere Energie bringt einen starken Anstieg der Stromnachfrage mit sich, unter anderem durch die Elektrifizierung der Industrie oder von Fahrzeugen. Der breite Einsatz schwankender erneuerbarer Energien wie Wind- und Solarenergie erhöht die Anforderungen an die Stromnetze nur noch mehr. Wenn wir von Anlagen zur Erzeugung von Energie aus erneuerbaren Quellen sprechen, meinen wir keine grossen Kraftwerke in kleiner Zahl, sondern potenziell Tausende kleiner, über das Netz verteilter Generatoren.

„Wir müssen die Netze so umgestalten, dass sie deutlich flexibler und dynamischer sind und der Strom in alle möglichen Richtungen fliesst“, sagt Taylor.

Smart-Grid-Technologien können dazu beitragen, diesen Übergang zu bewältigen und gleichzeitig den Bedarf an kostspieliger neuer Netzinfrastruktur zu verringern. Sie können auch helfen, die Netze widerstandsfähiger und zuverlässiger zu machen.

„Wenn man die Möglichkeit hat, zu einem innovativeren Ansatz für Investitionen in Netz und Betrieb überzugehen, kann man Daten und Echtzeitüberwachung integrieren und die Algorithmen in verschiedenen Teilen des Netzes zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich arbeiten lassen, man kann neue Technologien einsetzen, verteilte Systeme integrieren und in Echtzeit optimieren“, so Taylor.

Hochentwickelte Sensoren, Automatisierung, Prognosen und Zwei-Wege-Verteilung gehören zu den netzverbessernden Technologien, die die Einspeisung optimieren und die Schwankungen in der Erzeugung erneuerbarer Energie stabilisieren. Digitale Technologien und Software können Stromangebot und -nachfrage in Echtzeit besser aufeinander abstimmen, was die Kosten minimiert und die Stabilität und Zuverlässigkeit des Netzes gewährleistet.

Ein intelligentes Stromnetz ist hochgradig dezentralisiert, das heisst, die Komponenten, die Strom erzeugen, speichern und liefern, sind geografisch verteilt und nicht in einigen wenigen grossen Kraftwerken konzentriert. Das ist besonders hilfreich bei der Bereitstellung von Energie in abgelegenen Gebieten und bei der Versorgung mit intermittierenden Energiequellen wie Sonne und Wind, da auf andere Quellen ausgewichen werden kann, wenn eine nicht verfügbar ist. Zudem kann im Zuge der Preisdynamik in Echtzeit auf die jeweils kosteneffizientesten Energiequellen umgestellt werden.

Intelligente Netze können auch die Energiequellen vor den Folgen des Klimawandels schützen, da sie die Flexibilität bieten, auf andere Quellen auszuweichen, wenn eine Quelle beschädigt ist oder bei schlechtem Wetter nicht funktioniert. Zudem optimieren sie die Energieerzeugung, weil bei bestimmten Witterungsbedingungen die Quelle genutzt werden kann, die gerade den höchsten Wirkungsgrad hat.

„Intelligente Netze würden uns definitiv widerstandsfähiger gegen extreme Wetterereignisse machen“, sagt Taylor. „Man kann erneuerbare Energien nutzen und CO2-Emissionen minimieren und gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit verbessern.“

Sicherheit und Regulierung

Obwohl intelligente Netze die Lösung für viele Energieprobleme sind, weist Taylor darauf hin, dass ihre Abhängigkeit von grossen Datenmengen auch Risiken für die Cybersicherheit mit sich bringt. In den letzten Jahren gab es diverse prominente Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen, die unter anderem zu Energiediebstahl und längeren Stromausfällen führten. Für den sicheren Ausbau intelligenter Netze sind neue Erkennungs- und Schutzmassnahmen sowie eine bessere Regulierung der Datensicherheit erforderlich.

Eine weitere Herausforderung, so Taylor, ist die Reformierung der Regulierung, die nötig ist, um Investitionen zu erleichtern. „Innovative Smart-Grid-Technologien sind da, sie sind erprobt und wir wissen, dass sie funktionieren“, sagt er. „Aber wir warten auf das richtige kommerzielle und regulatorische Umfeld, um sie einsetzen zu können. Im Moment ist der Bedarf an kommerziellen und regulatorischen Innovationen viel grösser als der an technischen Innovationen.“

Bei den meisten Netzen handelt es sich um fragmentierte Systeme, deren Komponenten – Erzeugung, Speicherung und Übertragung – von verschiedenen Stellen mit jeweils unterschiedlichen Regulierungsbehörden verwaltet werden. Das ist ein komplexes Ökosystem, das grosses Potenzial für Energiedienstleistungen bietet. „Ein Batterieprojekt, das für die gesamte Wertschöpfungskette von Nutzen wäre, das wäre eine tolle Sache, aber wer soll ein solches Projekt umsetzen? Wem sollen die Energiespeicher gehören? Es gibt sehr viele Risiken“, sagt Taylor. „Energiespeicher sind auf dem Energiemarkt nicht eindeutig und verständlich kategorisiert, sodass nicht klar ist, was erlaubt ist und was nicht. Die Vorschriften schaffen nicht gerade Anreize oder machen es den Leuten leicht, am Flexibilitätsmarkt zu partizipieren.“

Derzeit sind die Netze nicht so optimiert, dass sie bevorzugt die CO2-ärmsten Energiequellen nutzen. So erfolgt beispielsweise der Netzanschluss im Vereinigten Königreich nach dem Prinzip „First come, first served“, was bedeutet, dass viele nachhaltige Netzpläne auf Eis gelegt wurden, obwohl sie realisierbarer und kosteneffizienter sind als diejenigen, die priorisiert werden. Die Energy Networks Association hat ein „First ready, first connected“-Modell vorgeschlagen, das die Umsetzung vieler anschlussreifer Renewables-Projekte beschleunigen würde. Die Entwickler erneuerbarer Energien haben ein grosses Interesse daran, dass sich die Regierung schneller bewegt.

Professor Taylor stellt fest, dass Länder mit einem staatlich dominierten Energiesystem möglicherweise besser in der Lage sind, ihre Energienetze an erneuerbare Energien anzupassen. Südkorea, Singapur und China haben bereits Fortschritte bei der Integration erneuerbarer Energien gemacht, da die staatliche Aufsicht einen schnelleren Systemwechsel ermöglicht. Dies bestätigt, dass die Regierungen eine wichtige Rolle spielen, weil sie die Vorschriften anpassen müssen, um diesen Veränderungen Vorschub zu leisten. „Wir brauchen eine Änderung der Rechtsvorschriften, um mehr Flexibilität zu ermöglichen“, so Professor Taylor. „Das ist unerlässlich, um Anreize für die kosteneffizientesten und CO2-ärmsten Lösungen für das gesamte Energiesystem zu schaffen.“

[1] BloombergNEF, “Energy transition investment trends 2024”
[2] IEA, “Electricity grids and secure energy transitions”, 2023
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