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Psychologie des Wohlstands
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Aus Sicht der Gesellschaft ist Geld Synonym für Erfolg. Wenn einem der Erfolg in die Wiege gelegt wird, kann das Entwicklungspotenzial begrenzt erscheinen. Kinder vermögender Familien haben mitunter Mühe, Motivation, Vertrauen und Handlungswillen zu entwickeln. Ein positiver Umgang mit Finanzen setzt voraus, dass die Eltern selbst eine gesunde Beziehung zu Geld haben. Entscheidend ist aber auch, ob die Familienkultur von Verantwortung geprägt ist, ob es eine klare Vorstellung davon gibt, wofür das Familienvermögen eingesetzt wird (und wofür nicht) und wie die Familie „Erfolg“ für sich definiert.
Familien machen ihren Nachwuchs in der Regel erst mit ihren Vermögensverhältnissen vertraut, wenn die Kinder das 25. Lebensjahr vollendet haben. Ein möglicherweise riskanter Ansatz. Studien haben gezeigt, dass Kinder, die in sicheren und privilegierten Verhältnissen aufwachsen, sich selbst oft als besonders ansehen und besondere Rechte beanspruchen. Wenn Eltern denken, dass sie ihre Kinder mit der Realität überfordern könnten, fördern sie vielleicht ungewollt die Vorstellung „Was uns gehört, gehört auch euch“.1
Der instinktive Wunsch der Eltern, ihre Kinder zu beschützen, kann also ungewollte Folgen haben. Eltern wissen, wie überaus komplex die Verwaltung eines beträchtlichen Vermögens sein kann. Werden Kinder und junge Erwachsene abrupt mit grossem Reichtum konfrontiert, kann das zu Ängsten, Depressionen und einem verzerrten Selbstwertgefühl führen. Vermögen kann auch, vor allem, wenn es quasi über Nacht erworben oder entdeckt wird, die Beziehungen von Kindern zu anderen Menschen sowie ihr Selbstbild verändern. Darauf weisen auch Wissenschaftler hin, unter anderem Dr. Paul Hokemeyer: „[Kinder,] die erst spät über das Vermögen ihrer Familie informiert werden, können ein gestörtes Identitätsbewusstsein entwickeln.2 “ Dass man es schafft, den familiären Lebensstil dauerhaft vom vorhandenen Geld zu entkoppeln, ist unrealistisch. Zudem dürfte es im digitalen Zeitalter schwierig sein, das Familienvermögen vor den Kindern geheim zu halten. Letztlich ist es „viel wichtiger, die Familie darauf vorzubereiten, als sie davor zu beschützen“3 . Natürlich stehen Schutz und Vorbereitung in einem gewissen Spannungsverhältnis – aber wer richtig Velofahren lernen will, muss irgendwann auf die Stützräder verzichten.
Es ist nicht einfach, der nachfolgenden Generation Klarheit über das Familienvermögen zu verschaffen, ohne ihr das Gefühl zu geben, isoliert oder orientierungslos zu sein oder besondere Rechte zu haben. Studien zeigen, dass Kinder durch eine frühzeitige, schrittweise und altersgerechte Aufklärung gestärkt, eingebunden und unterstützt werden können. Das gibt ihnen Zeit, ein gesundes Verhältnis zu Geld zu entwickeln, die eigene Verantwortung zu erkennen und sich schon in jungen Jahren Finanzkenntnisse anzueignen.
Um als Erben erfolgreich zu sein, brauchen Kinder eine Finanzbildung und gleichzeitig Freiheit, um ihre eigene Persönlichkeit und ein Selbstbild herausarbeiten zu können. Kristin Keffeler, Autorin von The Myth of the Silver Spoon: Navigating Family Wealth & Creating an Impactful Life (Wiley, 2022), zufolge sollten Eltern ihre eigenen Entscheidungen immer auf einer starken Wertebasis treffen und eine klare Vision von Wohlstand haben. Dann können sie die Grenzen, die ihren Kindern helfen, zentrale Lebenskompetenzen zu entwickeln, besser setzen und verteidigen.
Wer Schlüsselwerte definiert und ein Mission Statement oder eine Governance-Struktur für die Familie entwickelt, erhält einen klaren, kohärenten Rahmen, um die Kinder mit dem Familienvermögen vertraut zu machen. Gleichzeitig können so auch die aktuellen Vermögensverwahrer zur Verantwortung gezogen werden. Falls die Familie noch kein Mission Statement hat, kann dessen Entwicklung eine gute Gelegenheit sein, die Kinder einzubeziehen, wenn es um die Definition einer Familienidentität und den Verwendungszweck des Vermögens geht. Selbst kleine Kinder können dazu beitragen, wenn man sie beispielsweise bittet, eine Handvoll Werte zu nennen, die ihrer Meinung nach die Familie am besten beschreiben. Auf dieser Grundlage können Eltern und Kinder dann gemeinsame Wertevorstellungen entwickeln. Wenn das Kind beispielsweise „Warmherzigkeit“ als wichtige Eigenschaft nennt, können die Eltern ihm zeigen, inwiefern sich diese Eigenschaft im Engagement der Familie für wohltätige Zwecke ausdrückt. Grundsätze in konkretes Handeln zu übersetzen, trägt zur Entwicklung von Verantwortungsbewusstsein gegenüber der breiteren Gesellschaft bei und fördert die Erkenntnis, dass man mit Vermögen nicht nur materiellen Gewinn erzielen, sondern auch Gutes tun kann.
Der Umfang der finanziellen Unterstützung, die Eltern gewähren, und deren Dauer müssen klar kommuniziert werden. Auch wenn Eltern denken, sie tun ihren Kindern etwas Gutes: Ein grenzenloses finanzielles Sicherheitsnetz kann die Entwicklung der Nachkommen beeinträchtigen oder sogar lähmen. Kinder müssen sich ausprobieren, Fehler machen und selbst Auswege aus finanziellen Schwierigkeiten finden – auch, wenn diese Schwierigkeiten nicht real sind. Wer sein Vermögen bewahren will, muss über Finanzkompetenz verfügen und wissen, dass es keine unbegrenzten Mittel gibt. Kindern und jungen Menschen das Scheitern zu ermöglichen, kann für die Entwicklung ihrer Verantwortung und Erfahrung in Finanzdingen enorm hilfreich sein – und ihnen wertvolle Lektionen über das Leben liefern.
Was immer wir unseren Kindern zu vermitteln hoffen: Studien zeigen, dass Gewohnheiten übernommen und nicht gelehrt werden. „Kurz gesagt: Kinder ahmen nach, was sie sehen, und vergessen, was man ihnen erzählt. Daher sollte das, was Eltern sagen, immer in Einklang mit ihrem Verhalten stehen.“ (Brown & Jaffe) Als Vorbild kann man am besten zeigen, dass Arbeiten notwendig ist, um Geld zu verdienen, und dass Sparen und Investieren Vorgänge sind, die Umsicht erfordern. Eltern können mit gutem Beispiel vorangehen, indem sie ihren Kindern zeigen, wie sie in einer – bezahlten oder ehrenamtlichen – Funktion arbeiten.
In der digitalisierten und Smartphone-zentrierten Welt von heute sind Transaktionen und Aufgaben im Zusammenhang mit Geld – etwa das Bezahlen von Rechnungen – für unsere Kinder nicht mehr sichtbar. Das heisst aber nicht, dass wir sie nicht damit konfrontieren sollten. „Eine wirklich vorbildliche Praxis ist, wenn Eltern ihre eigenen, für die Kinder nicht sichtbaren Lern- und Entwicklungsprozesse transparent machen.“ (Keffeler) Sie helfen ihren Kindern auch, indem sie auf die Parallelen zwischen ihrer eigenen Arbeit und den Erfahrungen ihres Kindes in der Schule oder im täglichen Leben hinweisen. „Sie sollten mit ihren Kindern über ihre Probleme, die Lösungswege und ihre Beharrlichkeit sprechen und die Kinder ermuntern, ihre eigenen Erlebnisse mitzuteilen. So lernen Kinder, dass harte Arbeit, Mut und Zielstrebigkeit normal und wichtige Eigenschaften sind.“ (Keffeler, 2022)
Natürlich kennen Eltern ihre Kinder am besten. Welchen Platz diese innerhalb der Familie einnehmen und wie sie das Familienvermögen sehen, hängt auch jeweils vom kulturellen Kontext ab und wird von Phänomenen wie der Globalisierung und dem sozioökonomischen Wandel beeinflusst. Aber innerhalb der familiären Weltsicht brauchen Kinder Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie eines Tages für das Familienvermögen verantwortlich sein werden. Um das zu können, brauchen sie Unterstützung: Sie müssen wissen, welche Werte ihre Familie schätzt oder was einen ausgewogenen Lebensstil ausmacht. Sie müssen auch Gelegenheit erhalten, den richtigen Umgang mit Geld zu üben – und Fehler zu machen. Mit diesem Instrumentarium kann die nachfolgende Generation das Selbstvertrauen, die Selbstachtung und die Finanzkompetenz entwickeln, die sie braucht, um ihr Vermög.
[2] Paul Hokemeyer, Fragile Power: Why Having Everything Is Never Enough (Hazelden 2019)
[3] “Wealth 3.0 in Practice: Harnessing the Power of Positive Attention”, James Grubman, Dennis T. Jaffe and Kristin Keffeler, Trusts and Estates, February 2023
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