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Clean Energy Chronicles
1. Die Kosten für das Erreichen der Netto-Null. Eine Forschungsgruppe unter der Leitung von Mark Z. Jacobson, Professor an der Stanford University, hat herausgefunden, dass sich die Gesamtkosten für den Umstieg auf ein Energiesystem, das zu 100% auf erneuerbaren Energien basiert, bis 2050 auf 61,5 Bio. US-Dollar belaufen würden – das entspricht etwa 2,2 Bio. US-Dollar pro Jahr bzw. rund 2,5% des globalen BIP und ist etwas mehr als 10% der derzeitigen weltweiten Kapitalinvestitionen pro Jahr. Der Gruppe zufolge würde eine typische Amortisationszeit für die Dekarbonisierungsausgaben bei unter sechs Jahren liegen. Jacobson ist für seine kontrovers optimistische Haltung bekannt, aber die sehr detaillierte Analyse der Gruppe deutet darauf hin, dass Dekarbonisierung absolut bezahlbar ist.
2. CO2-Entfernung aus der Luft. Das Zahlungsunternehmen Stripe führt eine Koalition von Grossunternehmen an, die Fördermittel für die CO2-Entfernung bereitstellen. Das Konsortium hat bereits sechs Investitionen in Technologien getätigt, die von der Verwendung von Kalk als CO2-Senke über die Verwitterung von Basaltmehl bis hin zur kostengünstigeren direkten Luftabscheidung reichen. Alle Empfänger sind Unternehmen, die sich in einer sehr frühen Entwicklungsphase befinden, und die Investitionen durch Stripe sind vom Umfang her gering. Somit sind die Kosten pro Tonne entferntem CO2 sehr hoch und reichen von 500 bis 1800 US-Dollar pro Tonne. Stripe sagt jedoch, dass der Bewerberkreis für diese Finanzierungsrunde vielfältiger gewesen sei denn je zuvor. Das Unternehmen äusserte sich positiv darüber, dass verstärkt Elektrizität statt Wärme für die direkte Abscheidung aus der Luft genutzt wird und Alkalinität für die Abscheidung der Säuremoleküle von CO2 eingesetzt wird. Ein anderes Unternehmen, Carbonfuture, kündigte ebenfalls eine Vorfinanzierung von Technologien für die CO2-Entfernung an. In einem Fall gibt es eine Überschneidung mit den von Stripe präferierten Verfahren.
3. Die Kosten der Umstellung auf fleischlose Proteine. Das Consultingunternehmen Boston Consulting Group (BCG) verweist darauf, dass etwa 15% der globalen CO2-Emissionen aus der Produktion tierischer Erzeugnisse stammen. KonsumentInnen, die ihre Klimaauswirkungen minimieren wollen, setzen sich immer mehr mit Alternativen zu Fleisch auseinander. Laut BCG sehen 31% der KäuferInnen die positive Wirkung auf die CO-Emissionen als einen der Hauptgründe für die Umstellung auf fleischlose Proteine. Das Consultingunternehmen sagt aber auch, dass „0 Prozent“ der VerbraucherInnen bereit sind, einen Preisaufschlag zu zahlen. BCG weist darauf hin, dass die Skalierung der Industrie für alternative Fleischerzeugnisse zwar im Hinblick auf das Investitionskapital teuer ist, aber wahrscheinlich die günstigste Möglichkeit, Treibhausgase zu reduzieren; eine Investition in alternative Proteine in Höhe von 1 Bio. US-Dollar könnte die Emissionen um 4,4 Milliarden Tonnen pro Jahr senken, während es bei einer Investition in derselben Höhe in die Dekarbonisierung von Stahl nur 1,3 Milliarden Tonnen wären. Überraschenderweise schweigt sich der Bericht über noch günstigere Möglichkeiten zur Reduzierung der Emissionen aus: den Ersatz tierischer Proteine in unserer Nahrung durch natürliche pflanzliche Proteine aus Nahrungsmitteln wie Bohnen.
4. Stromfernübertragung. Hochspannungs-Gleichstromleitungen (HGÜ) können mittlerweile Strom aus Gebieten mit ausgezeichneter Solar- und Windverfügbarkeit in die Hauptverbrauchsregionen bringen. Zwei der wichtigsten geplanten Projekte wollen Strom von Marokko in das Vereinigte Königreich und von Australien nach Singapur transportieren. Für beide sind HGÜ-Leitungen von etwa 4.000 km Länge erforderlich, wobei der Grossteil unter Wasser liegt. Die derzeit längste Unterwasser-HGÜ-Leitung ist nur 700 km lang. Die Kosten für jede der beiden Leitungen und die damit verbundenen Solar- und Windparks werden sich den Befürwortern zufolge auf rund 20 Mrd. US-Dollar belaufen. Beide Projekte werden auch grosse Batterieparks nutzen, damit die Nachfrage gedeckt wird. Die Verbindung Marokko-Grossbritannien soll 10% des gesamten aktuellen Strombedarfs des Empfängerlandes decken können, während es über die Leitung nach Singapur – der Stromfluss ist hier geringer – mindestens 5% des Bedarfs sein sollen. Das geplante Projekt Marokko-Grossbritannien geht von einem Preis von 48 GBP (etwa 58 US-Dollar) pro Megawattstunde aus, vergleichbar mit den kürzlich festgelegten Preisen für Solarstrom aus Grossbritannien. Den hohen Transportkosten und Stromverlusten auf der Strecke steht die deutlich höhere Solarproduktivität in Marokko gegenüber.
5. Wasserstoffhandel. Die Internationale Agentur für erneuerbare Energien (IRENA) hat einen Bericht über den künftigen internationalen Wasserstoffhandel veröffentlicht. IRENA prognostiziert, dass 2050 etwa ein Viertel der gesamten Wasserstoffproduktion über internationale Grenzen transportiert wird. Der Handel würde sich auf etwa 150 Millionen Tonnen belaufen, von denen 55% über eine Pipeline und der Rest hauptsächlich auf dem Seeweg in Form von Ammoniak (NH3) – einem Wasserstoffträger, der sich über grössere Entfernungen leichter befördern lässt als das Flüssiggas selbst – transportiert würden.
6. Grüner Wasserstoff in der Stahlerzeugung. Arcelor Mittal ist einer der grössten Stahlhersteller der Welt und hat sich verpflichtet, die kohlebasierte Produktion bis spätestens 2050 einzustellen. Das Unternehmen möchte die Emissionen in Europa bis 2030 um mehr als 35% senken. Diese Ziele können vermutlich nur durch die Umstellung auf grünen Wasserstoff als Treibstoff und als Reduktionsmittel für Eisenerz erreicht werden. Gemeinsam mit dem deutschen Energieversorger RWE arbeitet das Unternehmen an der Entwicklung von Offshore-Windenergieanlagen, die den Strom für seine umfangreichen Wasserstoffprojekte liefern sollen. Die beiden Unternehmen planen den Bau von Windparks in deutschen Gewässern, die Elektrolyseure in der Nähe der Stahlwerke versorgen sollen. Arcelor Mittal plant bis 2026 eine 70-Megawatt-Anlage in der Nähe seines Bremer Werks. Angesichts der riesigen Menge an Wasserstoff, die für die Dekarbonisierung von Stahl benötigt wird, versucht das Unternehmen, sich eine zuverlässige Versorgungsquelle zu sichern.